Farin Urlaub (Bild oben: links, Bild unten: rechts) von "Die Ärzte": "Wir können musikalisch gar nicht den Mucker raushängen lassen! Dafür spielen wir immer zu nah am Limit unserer Kapazitäten."

Foto: "die ärzte assistiert von Jörg Steinmetz"
Foto: "die ärzte assistiert von Jörg Steinmetz"
Der Schalk sitzt den reiferen Herren dabei allerdings immer noch im Nacken.


Wien – Ungefähr 20 Alben in 25 Jahren brutto machen mitunter auch einmal müde. Selbst die sehr wahrscheinlich erfolgreichste deutsche und laut Eigenbekunden definitiv beste und "meiste Band" der Welt kommt einmal in die Krise. Deshalb nahm sich Farin Urlaub 2006 eine ausgedehnte Auszeit von seinem Trio Die Ärzte.

Er bereiste auf der Suche nach dem Irgendwo mit seinem Expeditionsgeländewagen Indien und Bhutan (der Standard berichtete). Erst waren ein paar Wochen geplant. Dann kam es anders. Der Umweg und der Motorschaden sind das Ziel. Schon war fast das ganze Jahr vorbei.

Dokumentiert wird diese Fahrt auf der Suche nach dem Eigenen im Anderen gegenwärtig im von Urlaub fotografierten, launig kommentierten und gestalteten, 500-seitigen und 98 Euro schweren Bildprachtband Indien & Bhutan (Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin, 2007).

Farin Urlaub im Interview mit dem STANDARD: "Wenn nur ein Bruchteil der Ärzte-Fans das Buch kauft, hat sich das Unternehmen für mich und mein Ego, aber vor allem auch für Ärzte ohne Grenzen schon ausgezahlt."

Die Erlöse werden also zur Gänze der Organisation Ärzte ohne Grenzen im Hoffen darauf zukommen, dass so mancher Fan der längstdienenden deutschen Funpunkband Anteil an fremden Kulturen nimmt, die man nicht zu Hause auf der Speisekarte von Ethno-Lokalen bestellen kann. Eine hübsche Ergänzung dazu: Urlaub und seine gleichberechtigten Songwriting-Kollegen und Partner Bela B. Felsenheimer und Rod González haben nach dieser Auszeit und zuletzt aufwändigen und sich mit diversen Gastmusikern musikalisch verzettelnden Produktionen wie dem Doppelalbum Geräusch (2003) mit dem jetzt in Form einer Pizzaschachtel vorliegenden Album Jazz ist anders tatsächlich wieder prächtig erholt.

Farin Urlaub (bürgerlich Jan Vetter, soeben 44, Arzt ohne Drogen, und weit davon entfernt, zumindest in seinem öffentlichen Erscheinungsbild, also beruflich erwachsen zu werden): "Irgendwann merkte ich dann ja auch dort auf Reisen in der sogenannten Dritten Welt, dass dieses eigene Jammern wegen irgendwelcher beschädigter Egos lächerlich ist. Uns geht es doch absolut gut! Und wenn man sich das noch dazu tagtäglich von Menschen vorführen lassen muss, die tatsächlich von der Hand in den Mund leben müssen und trotzdem eine fröhliche Heiterkeit und Würde verbreiten, kommt man sich tatsächlich etwas lächerlich vor. Von daher kommt dann auch das erste Stück, das ich für das neue Album geschrieben habe."

Himmelblau mit seiner zentralen Textzeile "Die Welt gehört dir, was wirst du mit ihr machen?!" leitet dann auch eine, wenn schon nicht Neuausrichtung, so zumindest reifere – und zweckoptimistische! – Standortbestimmung der Ärzte ein.

Die will und kann in Zeiten eines auf, nun ja, Wissen und Erfahrung im Zeichen der Aufklärung bauenden Post-Zynismus natürlich nicht auf erstaunliche Galligkeiten wie die von Urlaub geschriebene gesellschaftliche Beobachtung Lasse Redn verzichten. Ein bitterböses Lied im Stile von Abba in der ländlichen Pfarrheimdisco.

Lasse redn!

Dieses verhandelt die kleinbürgerliche teilnehmende Beobachtung, die Farin Urlaub selbst in jenem Dorf erlebt, in das er im Rahmen seiner Flucht aus Berlin vor einigen Jahren in Norddeutschland gezogen ist: "Lass die Leute reden und lächle einfach mild/Die meisten Leute haben ihre Bildung aus der Bild/Und die besteht nun mal, wer wüsste das nicht/ aus: Angst, Hass, Titten und dem Wetterbericht!"

Dem kompositorisch nach wie vor ziemlich direkt vorgehenden Urlaub und Bela B. Felsenheimer als dunklerem, zynischerem und die Popgeschichte ungleich geschickter verhandelndem Partner glückt auf Jazz ist anders eines: Die stilistischen Eskapaden früherer Jahre werden im Sinne einer Besinnung der Band auf ihre Wurzeln als zünftig poppenden und rockende Gitarrenband eindeutig zurückgefahren.

Urlaub: "Es ging darum, herauszufinden, warum wir als Band zusammenspielen. Deshalb haben wir uns auch wieder bewusst zurückgenommen, spielten alles im Trio ein und produzierten auch selber. Dass das jetzt ein wenig nach 'Zurück zu den Wurzeln' klingt, ist doch schön!"

Neben zahlreichen Anspielungen auf die Frühzeit der Ärzte und Bands wie The Cure, The Smiths, Gang Of Four, Iggy Pop in seiner schwierigen Party-Phase, aber auch auf den derben Hardrock von AC/DC, deren Hells Bells zitiert werden, zeichnet dabei vor allem ein Vorzug die neue CD aus.

Urlaub: "Der Grat zwischen 'erhabener', einfach so vorwärtspreschender Rockmusik und unserem ständigen Scheitern an übermächtigen Vorbildern ist natürlich nach wie vor gegeben. Wir können musikalisch gar nicht den Mucker raushängen lassen. Dafür spielen wir immer zu nah am Limit unserer Kapazitäten."

Davon kündet auch eine dem Album beigelegte Bonus-CD mit den durchaus autobiografischen Selbstverarschungsliedern Wir Sind Die Besten, Wir Waren Die Besten und Wir Sind Die Lustigsten . So wird der Kritik Wind aus den Segeln genommen. Und das geht gut so! (Christian Schachinger / DER STANDARD, Printausgabe, 06.11.2007)