Österreich, Sommer 2007, Real-fiction-tour

Foto: Blackbox Films/Robert Angst

Lesen Sie kommenden Donnerstagabend
(15.11.2007):

Wiener Filmbrancheneffekte - ganz intim IV: Schwebend voneinander naschen!

Foto: Blackbox Films/Robert Angst
"Laterne, Laterne, Sonne Mond und Sterne".

Ob es im Seniorengarten ein Laternenfest und ein Martinsspiel geben wird, ist leicht zu erraten. Und was mit den Darstellern des Bettlers und des Heiligen Bischofs von Tours passiert, wenn sie aus dem Seniorengarten herauswachsen und ins Pflegeheim eingeschult werden, ist auch in groben Umrissen bekannt. Im Detail allerdings nicht, aber, wie so oft, hilft auch hier der Tierversuch weiter. "Guate Schneid, halbe Arbeit":

Wo wenig Menschen viel Arbeit verrichten müssen, ist eine hilfreiche Maschine meist nicht weit. In Australien hat es der Schafscherroboter zu einiger Berühmtheit gebracht. In kurzer Zeit kann er verhältnismäßig viele Schafe ihres Haupthaars entledigen. Das Schaf wird befestigt, bekommt einen Kopfhörer aufgesetzt und vom MP3 – Player kommt die Lieblingsmusik, während der hydraulisch angetriebene Schurknecht seine Arbeit verrichtet. Ein Roboter hat aber keine Augen, deshalb muss er auf andere Art herausfinden, wo Haare sind und wo etwa eine Zunge. Er tut dies mit Sensoren, die aufgrund der Maulfeuchtigkeit einen Kurzschluss messen, und dann die Zunge zwar nicht abschneiden, vielleicht aber ein bisschen hinein.

Natürlich bekommen Schafe aber keine Lieblingsmusik eingespielt, Pflegepatienten in ihren modernen Betten allerdings auch nicht.

In Japan sollen bereits gänzlich automatisierte Pflegebetten in Erprobung sein – die Patienten werden computerüberwacht, flüssig ernährt, kontrolliert entleert und auch regelmäßig gewaschen. Aber nicht old school und analog wie bei uns, sondern eher wie das Auto am Wochenende.

Laut Hochrechnungen, basierend auf der Bevölkerungsprognose des Statistischen Bundesamts, verschiebt sich das Verhältnis zwischen Pflegern und zu Pflegenden in Deutschland von 1:9 im Jahr 1999 auf 1:17 im Jahr 2050. Eine klassische Überproduktion. Eifrig wird also nach Ersatzmöglichkeiten der Human Resource gesucht bzw. nach kostensparender Aufbewahrung alter Menschen.

Wie sich die Warenwelt mit den vorhandenen Benutzern und Benutzerinnen verändert, haben wir unlängst im Rahmen unserer Recherche beobachtet. Im Real-Kaufhaus in Leipzig finden sich Cabrios für den Gehsteig, flotte E-Roller (dort unter dem Produktnamen Geriomobil), vor denen man sich in Wien neuerdings auf Trottoirs in Acht nehmen muss, gleich neben den Moped-Rollern im Angebot. Ziemlich günstig im Preis übrigens. Was auch für das Filmbudget interessant ist, weil wenn man mehrere dieser Teile im Bild haben will, muss man sie auch woher bekommen.

Es gibt nicht nur mehr zwischen Himmel und Erde, als sich unsere Weisheit träumen lässt, sondern auch viele Vorschläge, wie der alte Mensch verwaltet werden kann, bevor er sich, wie wir Cineasten, ins Paramount-Bed legt.

Wer sich für androide Zeitgenossen interessiert bzw. im Pflegefall nicht Single sein mag, könnte sich so einen Kollegen dazu nehmen – oder, wenn wer lieber japanisch spricht, den hier. Und wer lieber bastelnd eine private Pensionsvorsorge treffen will, findet hier ganz gute Anleitungen, wobei der neuen Technologie aber nicht nur Begeisterung entgegen schlägt, sondern eher Skepsis.

Natürlich stellt sich die Frage, wo Verantwortung angesichts der engen Bündnisse von Technik und Mensch festzumachen ist? Ob Roboter zur automatisierten Kriegsführung, Telemonitoring in der Altenpflege oder Privacy- und Sicherheitsfragen im Ubiquitous Computing: Kann man ernsthaft von der Autonomie künstlicher Agenten ausgehen? Zumindest im kriegerischen Einsatz hat die praktische Erfahrung gezeigt, dass sich ethische Standards durch Automatisierung nicht notgedrungen verbessern. Dass sich durch Automatisierung der Kriegsführung die Zivilbevölkerung schonen ließe, erwies sich als eine Täuschung: im 1. Weltkrieg waren rund zehn Prozent der Getöteten Zivilisten, während ihr Anteil im hochtechnisierten Vietnamkrieg bei 70 Prozent gelegen ist und im gegenwärtigen Irakkrieg 90 Prozent der Toten Zivilisten sind. (Leopold Lummerstorfer/Martin Puntigam, 8.11.2007)