Es kann nicht sein, was nicht sein darf: Österreich ist längst ein Einwanderungsland. Nur wollen das die meisten Politiker nicht zur Kenntnis nehmen. Tatsache ist, dass jeder dritte Wiener im Ausland geboren wurde oder zumindest keine österreichische Staatsbürgerschaft besitzt - in vier Bezirken liegt der Migrationsanteil bei über 40 Prozent. In ganz Österreich beträgt der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund 16,3 Prozent.

Demograf Gustav Lebhart, der als Vertreter der Statistik Austria nicht in Verdacht geraten kann, hier Propaganda betreiben zu wollen, stellt nüchtern fest: "Der Streit, ob Österreich ein Einwanderungsland sein soll, ist obsolet." Nur auf politischer Ebene wird er - angefeuert durch FPÖ und BZÖ - munter weiterbetreiben.

In diesem Sinne betätigte sich am selben Tag in Brüssel Österreichs Innenminister Günther Platter als Bremser, als EU-Kommissar Franco Frattini im Kreise der Innen- und Justizminister die Pläne für eine europäische "Blue Card" vorstellte. Nach US-Vorbild sollen hochqualifizierte Arbeitskräfte in die EU geholt werden, indem ihnen ein Aufenthalts- und Arbeitsrecht zugesichert wird.

Auch wenn sich dieser Vorschlag explizit an gut Ausgebildete richtet, so befürchtet Platter "eine größere Einwanderungswelle", weil damit das Recht verbunden sei, auch die Familie mitzunehmen. Also: Menschen außerhalb der EU mit bester Qualifikation sind nach Platters Diktion höchstens dann willkommen, wenn sie ihre Familie zuhause lassen. Wer soll dann überhaupt noch kommen wollen? Außerdem zieht es etwa die gut ausgebildeten Inder, um die die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel gerade bei ihrer Asien-Reise heftig geworben hat, ohnehin eher in die USA.

Platter meint, vor der Aufnahme von Zuwanderern mittels "Blue Card" müsste erst die Öffnung des Arbeitsmarktes für die Bürger der neuen Mitgliedsstaaten geöffnet werden. Wenn sich die handelnden Politiker Österreichs weiter nach den Empfehlungen der Kronen Zeitung und der Arbeiterkammer richten, dann ist das frühestens 2011 der Fall. So lange sollen also die anderen EU-Staaten mit der Einführung der "Blue Card" warten.

Dabei will Frattini auch nicht die Tore weit aufmachen: Im Vorjahr reisten rund 70.000 gut ausgebildete Arbeitsmigranten in EU-Staaten ein, diese Zahl soll auf 150.000 verdoppelt werden - binnen fünf Jahren. Im Unterschied zur "Green Card" in den USA gilt die EU-Berechtigung nicht unbegrenzt, sondern nur zwei Jahre. Wer einen Antrag stellt, muss auch die Jobgarantie eines europäischen Unternehmens vorweisen können.

Österreich steht mit seiner Bremserrolle in der EU im Bereich Migration ziemlich alleine da. Die Bedenken Österreichs werden nur von einzelnen konservativen deutschen Politikern geteilt. Österreich und Deutschland sind auch die Einzigen, die den Zuzug für Arbeitskräfte aus Osteuropa weiterhin beschränkt halten. Es grenzt fast an Ironie, dass die größte Zuwanderergruppe derzeit deutsche Staatsbürger sind.

Was die Osteuropäer betrifft, wer mit offenen Augen durch das Land geht, sieht: Wer aus den östlichen Nachbarländern in Österreich arbeiten will, ist längst da. Und das der Verschärfung der Fremdengesetze zum Trotz. Österreichs Arbeitsmarkt und die Sozialsysteme brauchen auch Zuwanderung.

In Rumänien und Bulgarien, die erst heuer der EU beigetreten sind, klagen österreichische Firmen inzwischen schon über einen Facharbeitermangel. In diesen Ländern wird bereits versucht, Arbeitskräfte etwa aus Moldawien zu bekommen.

Die Welt dreht sich, nur Österreich hält weiter an seiner restriktiven Zuwanderungspolitik fest. Die heimischen Politiker müssen nicht nur anerkennen, dass Österreich ein Einwanderungsland ist, sondern sogar den Schluss ziehen, dass verstärkte Integrationsbemühungen erforderlich sind. Es geht um eine Zukunftsentscheidung für dieses Land. (Alexandra Föderl-Schmid/ DER STANDARD; Printausgabe, 9. November 2007)