Cover: Oetinger
Das stört doch keinen großen Geist!" Abgesehen davon, dass man bei der Lektüre von Karlsson vom Dach schon in jungen Jahren gelassene Skepsis gegenüber Kleingeistern lernt – eine entscheidende Grunderfahrung, die viele Leser mit dem Buch machen: Erzähler können behaupten, was sie wollen, und es mag auf den ersten Blick völlig unwahrscheinlich erscheinen, aber dann ist da etwas, das nennt sich Sprache, und wenn man die so beherrscht wie Astrid Lindgren, dann offenbart sich so etwas wie eine höhere Wirklichkeit.

Höher – das ist im Fall von Karlsson und seinem kleinen Freund Lillebror so hoch wie mehrstöckige Stadthäuser in Stockholm. Auf einem dieser Häuser steht, versteckt hinter einem Kamin, ein kleines Haus. In dem lebt Karlsson, und schon als Kind lässt einen der Gedanke nicht los, dass dieses Haus, gemessen an den Proportionen eines kindsgroßen, ziemlich rundlichen Mannes "in den besten Jahren" so klein auch wieder nicht sein kann. Immerhin hortet der da drin seine Sammlung gezeichneter Hähne, und eine kleine Veranda hat das Haus offenbar auch, irgendwie wächst es sich in der Fantasie zunehmend zu einem chaotisch wuchernden Dachappartment aus. Dass dieses vor Lillebror niemandem aufgefallen sein sollte, scheint zweifelhaft.

Punkt 2: Der Druckknopf am Nabel und der Propeller. Wie zieht sich so ein Karlsson an, damit sich sein Propeller nicht verheddert? Wie steuert der beim Fliegen? Egal. Man mag genau wissen, dass da einiges nicht "stimmt": Glauben tut man jedes Wort. Und müsste man dieses liebste Kindheitsbuch (neben Michel aus Lönneberga ) auf ein Bild bringen, dann wäre das eine kleine Kinokamerafahrt: Großaufnahme von einem Fleischklößchen auf einem Turm aus Kinder-Bausteinen, daneben eine explodierte Dampfmaschine, und dann langsam wegschweben, hinaus, weil draußen, oben auf dem Dach, steht ein Haus, das man nur in Worten beschreiben kann. (Claus Philipp, ALBUM/DER STANDARD/Printausgabe, 10./11.11.2007)