Vorsicht, von diesem Mann sind noch gute Bücher zu er- warten: Mark Z. Danielewski, Autor von "Das Haus / House of Leaves".

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Innen- und Außenräume, die sich wie Naturgewalten gegen zunehmend paranoide Individuen verschwören; Textkonvolute, Schreib- und Sprechstile, die beständig unübersichtlicher den Leser überfordern, auf dass er selbst die Initiative übernehme und sich seinen eigenen Roman baue: Grundkonstanten eines großen, immer wieder als gescheitert erklärten Projekts, das in der Literaturkritik bevorzugt unter dem Titel "Great American Novel" firmiert.

Gerne wird dann Herman Melvilles Moby Dick herbeizitiert, Thomas Pynchons Enden der Parabel dürfen ebenso als Referenzwerk herhalten wie typographisch ausartende experimentelle Prosa von Raymond Federman, postmoderne Genrevariationen von Robert Coover oder die Romane von Don DeLillo. Und immer wieder stehen Missverhältnisse bzw. Proportionslosigkeiten im Mittelpunkt: Hier ein Übermaß an Geschichten, Referenzen und Details, die den Blick auf Gegenwart eher verstellen als klären, da ein seltsam eingeengtes nationales Vergangenheitsverständnis und -bewusstsein. Im Hintergrund regt sich dann mitunter geisterhaft die Ahnung, dass da so etwas wie eine dunkle Vergangenheit gewesen sein könnte. Und dieser Ahnung entsprechen dann zum Beispiel in Horror- und Schauderromanen in schönster angelsächsischer Tradition die "haunted houses": Verfluchte, gespenstisch behauste Gemäuer, die man besser meidet, wenn man sich ihrer (und dann meist auch der eigenen) Geschichte stellen will.

Bereits 2000 ist in Amerika ein monumentaler Roman erschienen, der all die hier knapp umrissenen Motive mit einem Schwung durcheinanderwirbelt, den sich nur ein junger Debütant erlauben kann: House of Leaves, geschrieben vom damals 34-jährigen Autor Mark Z. Danielewski, bedient sich unverhohlen bei allen popkulturellen Stimulanzien, die einen auch nur halbwegs belesenen Menschen begeistern mögen: Drogengeschwängerte Beat-Prosa korreliert mit Cut-Up-Versuchen in der Nachfolge von William Burroughs, Stephen King kommt ebenso zu Wort wie der einst so kultig gefeierte Douglas Hofstadter (Gödel, Escher, Bach) und Jacques Derrida. Und dazu, nach offensichtlich exzessivem Laufbild-Konsum und noch exzessiverer Lektüre einschlägiger Filmtheorien von Deleuze/Guattari bis Christian Metz: Kino, Kino, Kino.

Grundlage von Das Haus (so der Titel der jetzt endlich erschienenen, von Christa Schuenke exzellent übersetzten deutschen Ausgabe) ist ein Film, den es eigentlich nicht gibt, der aber laut seinem (fiktiven) Autor "Zampanó" "zum Kulturgut des Landes zählt": Angeblich avancierte The Navidson Record, von Miramax in US-Arthouse-Kinos vertrieben, zu einem riesigen Independent-Erfolg, was angesichts der "Handlung" wenig erstaunt. Angeblich wollte nämlich ein ehemaliger Pulitzer-Preisträger namens Will Navidson ursprünglich seinen Rückzug in idyllisches Familienleben filmen. Angeblich entwickelte dann aber das Haus, in das er mit Frau und Kindern gezogen war, ein seltsames Eigenleben. Und angeblich führte das dann zu einer Abfolge spektakulär beklemmender Szenen, in denen zunehmend irritierte Forscher sich in Labyrinthen, Gängen, Raumfluchten verzetteln, die plötzlich im Haus auftauchen, ob wohl sie sich rein räumlich gar nicht "ausgehen" könnten.

Aber was heißt "angeblich"? Im Buch House of Leaves wird dieser Film akribisch nacherzählt und interpretiert, angeblich von einem alten Mann, der irgendwann unter extrem mysteriösen Umständen gewaltsam zu Tode kam - und von einem jungen Nerd namens "Johnny Truant", dem aufgrund einer scheinbar sehr traumatischen Kindheit nicht wirklich zu trauen ist.

Wer hat sich hier was ausgedacht? Was heißt hier "Geschehen"? Wo und wann sind all die Texte erschienen, die - ausgiebig zitiert - von The Navidson Record inspiriert wurden? In rasenden Schlinger- und Sturzbewegungen wird der Grundgedanke des Buches - ein Haus, das innen um ein paar Zentimeter länger ist als außen - zum Bauplan des ganzen Romans. Die detaillierte Beschreibung eines Filmes dauert länger als ihn anzusehen; die Interpretationen seiner Szenen reißen imaginäre "Räume" auf, die möglicherweise nur von viel wichtigeren "realen" Details ablenken: Es ist nur stimmig, dass zum Beispiel ein ausführliches Konvolut von Briefen der geisteskranken Mutter des "Herausgebers" sehr lapidar in einen "Anhang" ausgelagert sind.

Für den Leser bedeutet das auf Dauer, dass er sich von einer linearen Lektüre verabschieden, vor- und zurückblättern muss und mitunter versprochene Zusatzinformationen (ein "letztes Interview"!) schlicht nicht bekommt. Das Haus wird darüber zu einer phasenweise wirklich gruseligen und dann wieder hochkomischen Variation über merkwürdige Obsessionen: Menschen, die unbedingt in finstere Gänge schleichen wollen und forschen wollen, obwohl sie dort definitiv nichts Gutes erwartet - sie sind nicht weniger tragikomisch als Geisteswissenschaftler und Journalisten, die ein Kunstwerk (in diesem Fall: einen sogenannten "Kultfilm") zu Tode interpretieren. Wieviel nicht gelebte Leben stecken in Bergen von bedrucktem Papier? Auch hier ist Das Haus eine gespenstische, unverfilmbare Erzählung.

Und: Ein besonders gelungener Fall eines Romans, in dem Hochspannung und literarische Ambition einander nicht ausschließen. (Claus Philipp, ALBUM/DER STANDARD/Printausgabe, 10./11.11.2007)