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Der 1923 als Sohn jüdischer Einwanderer geborene Mailer schrieb mehr als 40 Bücher und unzählige Essays.

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Der US-Autor Norman Mailer beim Armdrücken mit seinem Freund Muhammad Ali 1965.

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New York - Norman Mailer, einer der letzten großen alten Männer der US-Literatur, ist tot. Der Autor von Romanen und semi-dokumentarischen Werken wie Die Nackten und die Toten (1948) oder Heere aus der Nacht (1968), der auch als Drehbuchautor, Regisseur und Politaktivist in Erscheinung trat, war ebenso streitbar wie streitlustig. Er galt gleichzeitig als "literarisches Gewissen" seiner Nation und als schwer auszurechnender Provokateur.

Der "Machoprinz der US-Literatur", wie ihn die New York Times in ihrem Nachruf nennt, wurde 1923 als Sohn eines Einwanderers aus Südafrika und einer jüdischen Amerikanerin in New Jersey geboren. Bald darauf übersiedelte die Familie nach New York, wo Mailer den Großteil seines Lebens verbrachte. Nach einem Studium der Luftfahrttechnik in Harvard kämpfte er im Zweiten Weltkrieg auf den Philippinen.

Gewalt und Sexualität

Gleich sein literarischer Erstling machte ihn berühmt. In dem Roman Die Nackten und die Toten verarbeitete er eigene Fronterfahrungen und erinnerte seine Nation drei Jahre nach Kriegsende an das beinahe schon verdrängte Grauen aus dem Asien-Krieg. Und er wies bereits auf den Zusammenhang zwischen Gewalt und Sexualität hin, über all die Jahre eines der prägenden Themen in seinem Werk.

Für die Zeitgenossen waren Schilderungen wie folgende ein Schock: "Als ein weiteres Schrapnell platzte, schrie er wie ein Kind: ,Aufhören, aufhören!' Zitternd lag er noch fast eine Minute da, nachdem der Beschuss vorüber war. Seine Schenkel fühlten sich warm und feucht an, und zuerst dachte er, er sei verwundet (...) Er tastete mit der Hand nach hinten, und mit Ekel und Humor zugleich stellte er fest, dass sich sein Darm entleert hatte."

Neben Catch-22 von Joseph Heller und Schlachthof 5 von Kurt Vonnegut zählt der Roman immer noch zu den bedeutendsten US-Büchern über den Zweiten Weltkrieg. Mailers Karriere wurde von dem frühen Erfolg jedoch einige Zeit überschattet. Die nächsten Romane misslangen, ihr Verfasser suchte im Alkohol und in desaströsen Beziehungen Zuflucht, seine zweite Ehefrau soll er 1960 während einer hochprozentigen Auseinandersetzung beinahe erstochen haben.

Auf der Suche nach neuen Schreibweisen landete Mailer schließlich beim literarischen Journalismus. Mit Heere aus der Nacht (Untertitel: "Geschichte als Roman. Der Roman als Geschichte") trug der Mitbegründer der New Yorker Wochenzeitung The Village Voice maßgeblich zur Entwicklung des New Journalism bzw. der New Fiction bei.

In dem Buch, einem Exerzitium in Selbstbiografie, wird aus zwei Perspektiven Mailers betrunkener Auftritt bei einer Versammlung vor dem Marsch auf das Pentagon im Oktober 1967 geschildert. Einer literarischen, persönlich gefärbten Schilderung steht eine wissenschaftlich-historische gegenüber.

In dieser Zeit entstanden einige von Mailers besten Texten, darunter Der Alptraum (1965), Am Beispiel einer Bärenjagd (1967; im Original: Why Are We In Vietnam?) oder Auf dem Mond ein Feuer (1970). Anhand eines Bärenjagd-Ausfluges nach Alaska zeigte Mailer, warum Vertreter der jungen Generation dazu verdammt waren, dieselben Wege der Gewalt wie ihre Väter zu beschreiten und sich freiwillig nach Vietnam melden.

Die Apollo-Raumfahrtmissionen, um die Auf dem Mond ein Feuer kreist wie Melvilles Moby Dick um den weißen Wal, wiederum deutete der Autor als ein von Menschen vollbrachtes Wunder. Es habe den Menschen letztlich aber seiner Fähigkeit beraubt, über Wunder staunen zu können. Die Technologisierung des Lebens hinterließe am Ende nur Leere.

Der Schrecken des 20. Jahrhunderts bestand für den Existenzialisten "in der Größe eines jeden neuen Ereignisses" und "im Mangel an produziertem Nachhall", was jedes noch so großes Ereignis bedeutungslos mache. Die USA beschrieb Mailer denn auch als "ein leeres Land voller Wunder".

Boxkämpfe

Von sich reden machte er nicht zuletzt auch durch seine öffentlichen Auftritte. Über den historischen Boxkampf "Rumble in the Jungle" zwischen George Foreman und Muhammad Ali 1974 in Kinshasa schrieb er nicht nur das Buch Der Kampf (1975), er kommentierte diesen zusammen mit George Plimpton auch in dem Dokumentarfilm When We Were Kings (1994). Als passionierter Faustkämpfer forderte er mitunter selbst Profi-Boxer heraus.

Mal war Mailer Sprachrohr der Friedensbewegung und ließ sich für seine Überzeugungen auch verhaften, dann wieder trat er als erbitterter Feind der Frauenbewegung auf. Als Linkskonservativer kandidierte er für das Amt des New Yorker Bürgermeisters. Seinem Erzfeind Gore Vidal versetzte er einen Kopfstoß, nachdem dieser ihn in einem Text angegriffen hatte. Es ließe sich behaupten: Zwischen Literatur und Leben gab es für Mailer keine Trennung. Am Ende zählte aber immer das Schreiben mehr.

Übergangserscheinung

Als Autor war Mailer dabei im Grunde eine Übergangserscheinung. Er wies stilistisch und in seinem energischen Selbstbild zurück auf Vorbilder wie John Dos Passos oder Ernest Hemingway. Er suchte andererseits mit dem Essay Der weiße Neger (1957) Anschluss an die Beatniks und Hipster, drehte Ende der 60er-Jahre an Warhol gemahnende Filme und inszenierte sich selbst als Medienfigur. Er strebte in seinem Schaffen nach dem sprichwörtlichen großen amerikanischen Roman und hatte dieses Gespenst formal doch längst überwunden.

Auch in späteren Jahren folgten immer wieder aufsehenerregende Bücher: akribische Biografien wie Marilyn (1973) oder Oswalds Geschichte (1995) über Lee Harvey Oswald, das Anti-Bush-Buch Heiliger Krieg, Amerikas Kreuzzug (2003) - und natürlich Romane, der von Mailer später verfilmte Harte Männer tanzen nicht (1984), die CIA-Chronik Das Epos der geheimen Mächte (1991) und Das Jesus-Evangelium (1997).

Zuletzt erschien der Roman Das Schloss im Wald (2007), eine Vater-Sohn-Studie über Alois Schicklgruber und Adolf Hitler, die die Wurzeln des Bösen zu greifen versucht, dabei auch den Leibhaftigen auftreten lässt und in ihrer Ambitioniertheit nicht als greises Alterswerk abgetan werden kann. Das Buch ist weniger Anklage als ein Versuch zu verstehen. Seinen Kollegen Günter Grass verteidigte Mailer noch im Juni in New York bei einem Treffen: Er wäre wohl ebenfalls zur Waffen-SS gegangen, wenn er in einer vergleichbaren Situation wie Grass gewesen wäre.

Am Samstag verstarb Norman Mailer im Alter von 84 Jahren in New York an Nierenversagen. Er hinterlässt rund 40 Bücher und neun Kinder aus sechs Ehen. Nach Kurt Vonnegut der nächste tragische Verlust für die US-Literatur in diesem Jahr. Autoren wie Mailer werden heute nicht mehr gemacht. (Sebastian Fasthuber / DER STANDARD, Printausgabe, 12.11.2007)