Jeweils montags und donnerstags eine Stadtgeschichte Thomas Rottenberg

Es war vergangene Woche. Da erzählte K. Denn K. hatte eines Nachts seinen Hund verloren (oder der Hund ihn) und das Tier wieder gefunden. Oder genauer: sich von ihm wieder finden lassen.

Und zwar ohne Polizei, die K. etwa durch das Verweisen auf seinen Job im Vorstand eines großen Verlagshauses oder auf die diplomatischen Beziehungen zwischen Österreich und einem anderen Staat, ausgelöst haben könnte. Schließlich ist K. nur TV-Journalist.

Als solcher weiß K. natürlich, dass sich das, was ihn zum Erzählen seiner eigenen Hundeverlustgeschichte brachte, nicht passiert ist. Weil Österreichs Polizisten nie auf „ich sitze im Medien-Vorstand“ oder „ich bin Botschafter“ reagieren würden. Erstens, weil vor dem Gesetz alle Bürger gleich sind. Zweitens, weil ein Hund kein Grund ist, eine Ausnahme zu machen. Nicht einmal dann, wenn er als entführt gemeldet würde.

Priorität Hund

Ebendies, erzählte K., hätten ihm aber mittelhohe Polizisten erzählt. Denn da sei der Verlagsmann in der Polizeicheftage vorstellig geworden: Im Wachzimmer habe man seinem Fall keine prioritäre Bedeutung beigemessen. Skandal! Sein Hund sei entführt! Aber diese faulen Wachter ... und so weiter. Außerdem könne man derzeit eine Menge über die Polizei schreiben. Ob man wirklich ... und (noch einmal) so weiter.

Die Fahndung, erzählte K. (habe man ihm erzählt), sei sofort veranlasst worden: Gesucht werde ein Hund. Entführt. Vorsicht, die Täter könnten bewaffnet sein. Und wehe einer lacht. Bald wurde der Alarm wieder abgeblasen: Der Hund war gefunden worden. In der Straßenbahn. Nach der dritten Runde sei dem Fahrer die brav daliegende Töle aufgefallen. Und als der Hund wieder bei seinem Besitzer war, fiel dem ein, dass das Tier doch nicht aus dem Büro verschwunden war, sondern mit ihm gemeinsam das Verlagshaus verlassen hatte. Auf einen Alkoholtest wurde verzichtet.

Terroristische Erpressung

Ebenso wenig hat eine andere Hundeentführung vor ein paar Wochen polizeiliche Arbeitszeit beansprucht. Denn dass ein Botschafter vermutet, sein Hund könne Opfer einer terroristischen (oder erpresserischen) Verschwörung sein, wenn das Tier plötzlich nicht da ist, ist gänzlich undenkbar. Ebenso, dass der Diplomat da unter Berufung auf seinen Stand Alarm auslöst – und Funkstreifenbesatzungen nach einem Schoßhund suchen. Und weil das alles nicht passiert ist, wurde auch nie eine Botschaftssekretärin in einer Hundezone gefunden (mit Hund): Exzellenz hatten vergessen, die Dame mit dem Hund rausgeschickt zu haben.

Dass all das nicht passiert sein kann, meinte K., sei fast schade. Wir stimmten zu. Zum Trost legte K. dann halt das Geständnis ab, wieso sein Hund neulich zwei Tage lang nicht unter seinem Tisch gelegen hatte: Er sei, erklärt K., von einer Party heim gefahren. Mit dem Nachtbus und nicht nüchtern.

Wohnungstür

Als er aufwachte (der Fahrer stieß ihn am Ende der Runde an), war der Hund weg – und blieb es. Zwei Tage später, erzählte K, sei an seiner Wohnungstür ein Zettel geklebt: Dem Hund gehe es gut. Wenn K. ihn wiederhaben wolle, solle er sich melden.

Der Hund, bastelte K., danach aus den Erzählungen des Hundesitters und dem Verhalten des Köters zusammen, dürfte seiner Gewohnheit entsprechend an der richtigen Haltestelle aus dem Bus gesprungen sein – und hatte wohl zu spät gemerkt, dass Herrchen nicht mitkam. Da daheim (Ks. Haustor ist immer offen) niemand öffnete, sei der Hund dann dorthin gegangen, wo er K. vermutete: Zu einer Burgerstation mit Nachtbetrieb. Dort – ab hier gebe es einen Zeugen - suchte der Hund jemanden, der ihm zusprach, stupste ihn immer wieder an und hatte Glück: der Fremde folgte dem Hund – und hämmerte minutenlang an K.s Wohnungstür.

Asyl

Dann nahm der Fremde den halsband- und markerllosen Hund mit zu sich. Zwei Tage später klebte er dann den Zettel an K.s Tür. Happy End. Freilich: Ganz zufrieden ist K. mit seiner Geschichte aber nicht. Irgendwie, meinte er, fehle die Pointe – schließlich sei ja nur er Schuld. Beim nächsten Mal, versprach er, werde er für mehr Dramatik sorgen und „Hilfe Entführung“ brüllen - und mit der daraus resultierenden Nicht-Fahndung zumindest beweisen, wie abwegig ist, auch nur zu vermuten, dass die anderen Vorkommnisse tatsächlich stattgefunden haben könnten. (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 12. November 2007)