Christoph Ransmayr: "Der fliegende Berg", Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2006.

Tipp: Der Autor liest am Freitag, 16.11.2007, um 17:45 Uhr im Literaturcafé im Rathaus.

"Der fliegende Berg" ist inzwischen auch als Hörbuch, gelesen vom Autor selbst, bei Argon-Hörbücher (edel-Vertrieb) erschienen.

Buchcover: Fischer Verlag

Zur Person
Christoph Ransmayr
, geb. 1954, ist Autor. Seine Werke, darunter etwa Die Schrecken des Eises und der Finsternis (1984), Morbus Kitahara (1995), Der Weg nach Surabaya (1997), Geständnisse eines Touristen (2004), wurden in 30 Sprachen übersetzt. Ransmayr erhielt zahlreiche Literaturpreise, darunter 2004 den Großen Österreichischen Staatspreis und zuletzt den Heinrich-Böll Preis der Stadt Köln.

Foto: Oliver Rüther, Wiesbaden
Christoph Ransmayr trat unerwartet in mein Leben, fast ungewollt, ganz ohne Nachdenken, jedenfalls nicht in der Absicht, sich niederzulassen oder mich zu begleiten, aber er trat in mein Leben und ist bislang geblieben.

Vermutlich kam ich auf seine Werke wie auf viele andere, durch meine Deutsch-Professorin. Sie war in eine Abbildung des jungen Heine verliebt, die sie während des Unterrichts auf einer Postkarte herumreichte, und las Wiener Mundart-Gedichte mit einer solchen Hingabe, dass ich immer weiter und mehr hören wollte. Mitgutsch und Bachmann legte sie mir ans Herz, Rinser und Wolf und irgendwann wohl auch Ransmayr. Ich begann mit der Letzten Welt und konnte nicht aufhören zu lesen, obwohl vieles unverständlich blieb. Der fehlende Lateinunterricht, meine Unkenntnis der Metamorphosen, die Komplexität des Ganzen erschwerten die Lektüre, aber es war mir als würde ich etwas verstehen, etwas erfühlen, was wichtiger war. Ich verstand die Sprache, die Ransmayr sprach, ich spürte die Gewalt seiner Worte und ich verliebte mich in den Klang seiner Silben und den Rhythmus seiner Sätze. Und zum ersten Mal wurde mir bewusst, welche Macht die Sprache über mich hatte. Ich war ein Sprach-Mensch; kein Kind, das Geschichten liest und dazu im Kopf Bilder malt, sondern das Kind, das alle Bilder um sich in Worte fassen muss. Da stand ich – als in ihrer Lesefreude von den Eltern stets Verwöhnte – an einem Sonntag inmitten der Letzten Welt, stand am offenen Fenster und war in Trachila und musste alles, was ich sah, in Worte fassen, mir selber erzählen. So also kam Ransmayr in mein Leben…

Viele seiner Texte habe ich gelesen, einige mehrmals, zum Teil auch nur einzelne Stellen, die mir besonders im Gedächtnis geblieben sind und die ich oft stundenlang wieder zu finden versuche, weil auch die Eselsohren inzwischen zu viele für einen sinnvollen Hinweis sind; an den Schrecken des Eises und der Finsternis jedoch scheitere ich immer noch und komme nicht über die zehnte Seite hinaus, so sehr ich es auch wieder und wieder versuche...

Vor einem Jahr: Der fliegende Berg. Ich höre im Radio vom "lang erwarteten neuen Roman": Die "ungewöhnliche" Form – "Flattersätze", was soll das heißen? "Strophen, aber kein Gedicht"? Die Geschichte: zwei Brüder in den Bergen – eine archetypische Geschichte? –, nur einer kehrt zurück… Ein paar Tage später, in der nächsten Buchhandlung springt mir unter den Neuerscheinungen der blaue Umschlag ins Auge: Zwei Quallen im Meer. Was hat das mit Bergen zu tun? Ich streiche zärtlich über den Buchrücken, wie ich es immer tue, wenn ich in eine Buchhandlung gehe, um den Geruch von bedrucktem Papier einzuatmen. Der Gedanke an Bücher entspannt mich. Wahllos schlage ich eine Seite auf und lese ein paar Zeilen…

Sofort fühle ich mich gefangen in der sanften Art des Erzählens von Dingen, die nicht sanft sind und die mich erdrücken würden, wären da nicht auch Schmetterlinge im Sterben und das Lachen eines Bruders und immer wieder eine Sprache, deren Rhythmik mich weiter trägt. Kurz hadere ich mit mir: Noch ein Buch, das ich haben muss bevor es als Taschenbuch erschienen ist, noch ein Buch, das zu schwer wiegt zum Lesen in der Straßenbahn und das sich im Gedränge der U-Bahn nur schlecht halten lässt… Dann kaufe ich es doch und habe die kommenden Tage verspannte Schultern, weil es schwer ist in meiner Handtasche und ich es überall hin mitnehme. Aber ich bin froh über die Last auf meinen Schultern, auch wenn ich nicht alles erfassen kann, was ein Jahrzehnt Arbeit aus diesen zwei Brüdern und ihren Sehnsüchten und Ängsten und ihrer Vergangenheit gemacht und in die Bilder einer mir so fremden Welt wie die Berge des Tibets gelegt hat. Ich atme dennoch jedes Wort und möchte nicht aufhören zu atmen bevor die Geschichte zu Ende geht…

Ein halbes Jahr später: Ich wage mich näher heran an Ransmayr und kaufe Karten für eine Lesung am oberösterreichischen Narzberggut. Wieder Der Fliegende Berg. Nervös sitze ich in einer der hinteren Reihen. Ich mag keine Autorenlesungen, sie zerstören mein Bild eines Schriftstellers, weil nur die wenigstens so gut lesen wie sie schreiben und die Melodie in meinem Kopf meist anders klingt. Den Schriftsteller entmachten, um der eigenen Interpretation der Sprache Raum zu geben, ich bin ein störrischer Leser. Und irgendwo ist da die Angst, künftig eine fremde Stimme im Kopf zu haben, wenn ich mich wieder mal an Die Schrecken heranwage…

Ransmayr schaut geradeaus, er erinnert mich an sein eigenes Foto am Buchumschlag, auch wenn er nun jünger wirkt und schelmenhafter als seine Erzählungen es vermuten ließen. Seine Stimme ist klar, sein Rhythmus folgt der Melodie der Fliegsätze. Spätestens als wir bei den toten Schmetterlingen angelangt sind, lässt die Anspannung in meinem Körper nach, und ich bin froh hier zu sein, zu hören, wie Nyema klingt, wenn man den Namen nicht wie ich mit der französischen Intonation eines doppelten "ii", sondern der deutschen Version eines lang gezogenen und wie "ü" klingenden Tons ausspricht, bin froh als die Dame neben mir aufhört mit ihrem Taschentuch zu spielen und ich jedes einzelne Wort erfassen kann. So hat es also Ransmayr in der guten Stunde, die er liest und redet und einfach nur erzählt, auch in mein Gehör geschafft und ich weiß nicht, ob ich künftig Nyema noch auf Französisch lesen werde können. (Ina Kadlec, derStandard.at, 14.11.2007)