Erstens: Unter dem Pseudonym Demon Flowers füllt Werner Geier heute als Discjockey mit seinen eleganten und gemächlich rollenden Vierviertel-Beats die Tanzflächen. International, von London bis Tokio. Das sollte man allerdings nicht an die große Glocke hängen. Angesichts der "Hysterie" um die Wiener Dancefloor-Szene (Kruder & Dorfmeister, Pulsinger/Tunakan...) komme ihm dabei immer "dieses typisch Österreichische, dieses Provinzielle" zu stark heraus: "Der Bauer in der großen Welt!" Als DJ nach London geholt zu werden sei nämlich absolut, na ja, fast nichts Besonderes. Wenn man nur lange und hart genug an einer Sache arbeite, würden sich Kontakte ganz von selbst ergeben. In einer Szene, die lange ohne Medien-Pipapo ausgekommen sei und sich auf freundschaftlicher Basis gegenseitig vermittelt habe, kein Problem.

Zweitens: Gemeinsam mit seinem Kompagnon, dem Austroamerikaner Rodney Hunter, produziert Geier seit drei Jahren im Sinne eines "gemütlichen Dahinwurstelns" auf seinem Plattenlabel Uptight songlastige, auf der Übereinanderschichtung von Beats basierende Dancefloor-Platten zwischen zeitlosem Funk, HipHop und TripHop. Er wurde mit Hunter auch schon nach New York eingeladen, um HipHop-Tracks von solchen Größen wie The Gravediggaz zu remixen: "Das ist so, wie wenn man Kühlschränke an Eskimos verkaufen will. Es erfüllt einen aber mit Stolz, wenn man dort akzeptiert wird: 'Hey, cool beats, men!'"

Drittens: Gerade hat die von Geier und Hunter betreute, in Wien agierende HipHop-Formation Aphrodelics mit der Single Rollin’ On Chrome die deutschen Charts geentert und wird auf MTV und Viva rauf und runter gespielt. Nach einem arbeitsreichen Jahr mit Veröffentlichungen wie der aktuellen und formidablen Uptight-Kompilation This Side Up (Österreich-Vertrieb: BMG Ariola) stehen demnächst Remix-Arbeiten für britische Bands wie Cornershop und Massive Attack ins Haus.

Als Bonus gab es heuer eine Grammy-Nominierung. Nominiert wurden Uptight für den Musik-Oscar wegen ihrer Produktionstätigkeit für den US-Jazz-Crooner Mark Murphy und dessen Album Song For the Geese. Werner Geier findet das "komisch" im Sinne von "sehr merkwürdig". Schließlich produziere man schon seit Jahren, gerade hierzulande unbeachtet und unbedankt, als kleine Hinterhoffirma im sechsten Wiener Gemeindebezirk so still und leise vor sich hin – und jetzt das!

Werner Geier: "Die Ziele, die wir uns mit Uptight gesteckt haben, bringen uns in Österreich ja nichts. Es geht um Groove, um die Verfeinerung von Beats. Das wird in den USA, höchstens noch in England verstanden: Das Setzen von Synkopen, diese rhythmischen Verfeinerungen bemerkt hier niemand, weil es nicht unserer Kulturpraxis entspricht." Dies gepaart mit einem nicht besonders großen Öffentlichkeitsbedürfnis führe dann dazu, dass das Uptight-Label im Gegensatz zu Kollegen wie Kruder & Dorfmeister als nicht soo wahnsinnig hip angesehen werde. "Nach etlichen Jahren als Journalist kann und will ich aber auch niemandem mehr den Hintern küssen."

"Ich lege keinen Wert darauf, wenn mir jemand auf die Schulter klopft: ,Leiwand, Oider!’ Dazu kenne ich das Geschäft zu gut. Es ist reine Glückssache. Und ich habe sehr viel Zeit." Stichwort Journalist: Werner Geier besitzt als heute 33jähriger natürlich so etwas wie ein Vorleben. Er ist eine "Radiolegende". Entschuldigung! Fakt ist, unter den schon etwas älteren jungen Menschen gibt es genügend Leute, die sich in seinem Fall vor allem auch an eine den eigenen musikalischen Geschmack prägende öffentliche Person erinnern. An eine wohlbekannte Stimme aus dem Off. Man erinnert sich an ihn als Begleiter durch die 80er Jahre. Damals konnte man werktags zwischen drei und vier Uhr Nachmittag für wenigstens eine Stunde Ö3 hören. Werner Geier brachte damals "der Nation" via die längst dahingegangene Ö3-Musicbox die neuesten musikalischen Entwicklungen aus der großen weiten Welt der Trendmetropolen nahe.

Sein Markenzeichen dabei, neben dem von vielen Hörern auch erotisch besetzten, wohlig-brummenden "Bariton": akribisch gestaltete Features. Geier fetzte seine Sendungen nicht einfach mittels Tonkonservenabspielung und halblustigen Zwischenmoderationen herunter. Er legte damals, und er legt heute noch bei seinen eher sporadischen Beiträgen für FM4 (den Sender, über den er lieber nicht sprechen will) allergrößten Wert auf den Flow. Die Übergänge und der Rhythmus von Wort und Musik werden geradezu "komponiert".

Was damals in der Ö3-Musicbox zu hören war? Industrial-Music und Kraftwerk. New-York-Noise. Drogensüchtige Country’n’Western-Sänger, die es mit Urschrei-Therapie versuchten. Engelsgleich singende, dicke Hawaiianer. Obskure Rock’n’Roller aus den Sixties – und immer wieder Haderlumpen wie die großen Tragöden Nick Cave und Henry Rollins. Hier wird Geier manchmal auch heute noch schwach. Er bezeichnet dies als "Backlashes ins Pathetisch-Herzhafte". Weil aber auch er mit der Postmoderne durch die 80er Jahre gehetzt wurde, fügt er hinzu, dass die "dort vorhandenen Sentimentalitäten selbstverständlich gleich dekonstruiert werden müssen".

Wofür Werner Geier damals stand, wäre halbwegs geklärt. Wer aber Werner Geier ist, lässt sich schon schwieriger ermitteln. Er spricht zwar viel und gern, aber exzentrischerweise ungern über sich. Seine Selbstdarstellung besteht seit Jahren aus nur vier Wörtern. Sie lautet: "Werner Geier, nichts gelernt." Beim Stichwort Journalist ziehe es ihm überhaupt den Magen zusammen. Gerade auch seine Radiotätigkeit habe er immer über sein Leben als Fan definiert, in dessen Brust der ständige Kampf zwischen analytischem Blick und affirmativer Begeisterung tobe. Mit dem Berufstitel eines "Dilettanten", der seine Arbeit als "mit gutem Gefühl hingeschissen" erachte, könne er schon eher leben.

Und weil "irgendwelche absolvierten Baumschulen sowieso niemanden interessieren", lässt sich nur anmerken, dass Geier 1965 in Mürzzuschlag geboren wurde, die Eltern ein Kino besaßen (was seine Liebe zu Tschinbummfilmen erklärt), wie hier auch überhaupt sein Augenmerk dem Anekdotischen gilt. Eine Landjugend gibt sonst nur wenig her.

Der Großonkel jedenfalls sei niemand Geringerer als der "eher unberühmte Schauspieler" Werner Pochath gewesen: "Er spielte immer diese blonden deutschen Ungustln, Nazis und so. Sein Lebenswerk war es, in Plattfuß am Nil von Bud Spencer verdroschen zu werden. In der Familie gab er sich aber immer als großer Shakespeare-Mime. Wo doch jeder gewusst hat, dass er in Italien auch Softpornos drehte."

Da das Radio in der provinziellen Enge für Geier immer schon das "Tor zu Welt" gewesen war, landete er in Wien dann irgendwann "zufällig" in der Musicbox: "Die Musicbox, das war mein Über-Ich. Am Anfang habe ich mir gedacht: Was mache ich nur bei diesen genialischen Menschen, die mir, als ich klein war, die Welt erklärt haben? Später habe ich dann gewisse journalistische ,Techniken’ entdeckt. Man muss nicht aus sich selber schöpfen. Es gibt genügend andere ,Quellen’." Frechheit siegt, ebenso wie die "Kunst des Zitats".

Irgendwann Ende der 80er Jahre ist dann Geier aus der Sicht vieler Hörer "narrisch" geworden. Er wurde vom HipHop-Fieber infiziert: "Ich habe mir aber seit jeher gern neue Ziele und Hürden gesetzt, um mir Abenteuer zu verschaffen. HipHop hatte ich immer nur unter sozialdokumentarischen Aspekten gesehen. Ich habe nicht verstanden, was außer der Beschreibung des Ghettolebens da noch dran sein sollte, außer, von einem intellektuellen Standpunkt aus betrachtet, monotone Beats und Sprechgesang. Da ich mich aber selbst, wie auch die Hörer vor den Kopf stoßen wollte, bin ich schließlich über die anfangs qualvolle Beschäftigung mit HipHop total hineingekippt. Außerdem fühlte ich mich ,im Rock’ nicht mehr wohl. Dieser Irrglaube, subversiv zu sein, wenn man mit dem Kopf gegen die Wand rennt oder sich abfackelt!"

Wo Geier den Soul, die Tiefe des Ausdrucks, oft vergeblich in extremen Bereichen "weißer Musik" suchte, im global ausgerichteten HipHop sollte er ihn schließlich finden. "Außerdem begannen zu dieser Zeit ja auch diese Fremdenhassgeschichten. Mir schien damals, mit HipHop, der ja generell eine offene und tolerante Bewegung ist, könnte hier eine neue Kulturtechnik ins Spiel kommen, mit der man diese Phänomene umgehen könnte. Das hat sich heute ein wenig relativiert. HipHop ist eine Industrie, und die sozialromantische, linksliberale Idee davon als einem Befreiungsmedium, diese sogenannte Revolution dreht sich im Endeffekt auch nur darum, dass Schwarze denselben Zugang zu Konsumprodukten bekommen wie Weiße."

Für Resignation allerdings bleibt keine Zeit. Dazu macht die ungebrochene Beschäftigung mit dieser Musik viel zu sehr Spaß: "Ich bin lustbetonter geworden. Ich war ja früher kein großer Tänzer – weil es sich im diskursiven Sinne nicht geschickt hat, sich gehen zu lassen. Wenn man aber den Leuten auf der Tanzfläche ein wenig in den Hintern zwicken oder ihnen eine Träne herausdrücken kann, dann ist das big, big Kunst! Ich möchte heute ,softe’ Musik für Mädchen machen, die einfach Spaß haben und tanzen wollen, nicht für diese männlichen Kontrolleure, die am Rand der Tanzfläche stehen und die Arme verschränken. Aggressive Bubenmusik gibt es schon genug."

In diesem Sinne arbeiten Uptight an einem zeitlosen Modell von Verständigung. Kommunikation über den Groove und die Beats. Der Wahlspruch lautet: "Nothing here is the future." Die alte Schule des HipHop nämlich sagt: Friede auf Erden und den Tanzflächen! (Christian Schachinger, ALBUM, DER STANDARD, Printausgabe, 22.5.1998)