Jeweils montags und donnerstags eine Stadtgeschichte Thomas Rottenberg

Es war vergangene Woche. Da hat sich I. bitter beschwert - und Gerechtigkeit eingefordert. Es sei, meinte I., nämlich ziemlich unfair, dass Hunde in dieser Kolumne oft und ausführlich vorkämen, andere nichtmenschliche Mitstädter aber nicht. Oder kaum. Und, fuhr sie mir über den Mund bevor ich noch einen bösen Gedanken fassen konnte, ich solle jetzt ja nicht an Flugratten oder anderes Geziefer denken, dem ich (I. kennt mich schon sehr lange) in meinem Nebenjob schon den Garaus machen durfte. Sie denke, sagte I. an Sympathieträger. Katzen nämlich.

Ich sagte nichts. Denn I. trauert: Vor zwei Wochen starb ihre Katze. 17-jährig und – vermuten wir – an Liebeskummer oder Einsamkeit. Weil zwei Jahre zuvor ihre Mitkatze (an Altersschwäche) verstorben war. Derzeit, erzählte I. unter Tränen, sei die jüngst Verstorbene noch nicht beerdigt. Sie läge auf Eis. Im Wortsinn: Weil I. das Tier nicht entsorgen lassen wolle oder es einfach in den Müll werfen kann, liegt die tote Katze in Plasticksäcke verpackt in I.s Tiefkühltruhe. Und wartet darauf, aufs Land, zu I.s kleinem Wochenendbauernhof gebracht und ebendort bestattet zu werden.

Stadtkatze

Eigentlich, weiß I., ist das aber auch falsch. Schließlich war die Katze eine Stadtkatze. Und noch eigentlicher gehöre sie neben ihrer Mitkatze beerdigt. Aber das, sagte I., gehe nicht. Weil nämlich der Pfarrer gewechselt habe – und zum neuen Gottesmann habe sie (I., nicht die Katze) keinen so guten Draht. Der alte Priester, sagt I, war nämlich einer ihrer besten Freunde.

Was das mit der toten Katze zu tun habe, wollte ich dann doch wissen. Und I. erzählte: Als die Mitkatze gestorben war, hätten I. und ihre Freundin das Tier begraben wollen. An einem schönen Ort, an dem sich Stadt und Natur die hand reichten. Irgendwie wären die beiden trauernden Frauen da auf die Praterauen gekommen. Und dann eben mit einer toten Katze im Plasticksack und einem Spaten mitten in der Nacht durch den Wald gestapft.

Gespenstisch-grotesk

Bei der Erinnerung an diese Wanderung muss I. dann trotz ihrer aktuellen Trauer lachen. Denn, erzählt sie, die Expedition sei nicht nur gespenstisch, sondern auch grotesk gewesen: Ob wir je versucht hätten, in einem Wald ein Loch zu graben? Fragte sie dann – und kicherte wie ein kleines Mädchen: Dunkelheit und Wurzelwerk hätten das Unterfangen zum Debakel werden lassen. Und zwar auch, als sie es dann, eine Nacht später, mit männlich-muskulösem Beistand noch einmal versucht hätten: Der befreundete Pfarrer war mitgekommen – und hatte sogar eine Spitzhacke über seine Schulter gelegt.

Nach ein paar qualvollen Versuchen, den präfrostig-winterlichen Praterboden aufzulockern, gab das Trio mit der toten Katze dann aber klein bei, erzählte I. Aber der Pfarrer hatte eine Idee, setzte sich ans Steuer, fuhr die trauernde Truppe zu seiner Randbezirks-Kirche, wanderte mit ihnen einmal (den Krampen und die Schaufel geschultert, die Katze in der freien Hand, die trauernden Frauen im Schlepptau) suchend quer über den Friedhof und wandte sich dann doch dem Gotteshaus zu.

Blumenbeet

Dann, neben dem Pfarrhaus, erzählte I., sei der Gottesmann stehen geblieben und habe sich umgesehen. Und mit den Worten "hier ist es gut" den Spaten neben einem Seiteneingang in den Boden gerammt. Er habe ("ich schwöre, es war so", sagte I.) in die Hände gespuckt, und begonnen das Blumenbeet aufzugraben: Einen Meter tief, mindestens, habe er dabei doziert.

Die Graberei sei rasch von der Hand gegangen, erinnerte sich I. Und als das Loch groß genug war, sei der Priester kurz verschwunden und mit einem Brett und einem Stein wieder gekommen: Um das Aufbuddeln durch andere Tiere zu vermeiden, müsse man ein Brett auf den Kadaver legen und das mit einem Stein fixieren, habe der Pfarrer erklärt – und dann die tote Katze im Plasticksack behutsam in ihr Grab gelegt.

Kreuz

Dabei – hier begann I. dann wieder zu weinen – habe er eine kleine, kurze improvisierte Ansprache gehalten und erst bei den Worten „und hiermit übergebe ich dich der Erde“ den Sack hinabplumpsen lassen. Dann habe er ein Kreuz geschlagen, ein Vaterunser gebetet und die Damen dann noch auf eine Tasse Tee zu sich ins Haus gebeten.

Seither, sagte I., sei sie ein oder zweimal auf dem Friedhof gewesen. Und habe immer Blumen auf das Katzengrab gelegt. Bis der neue Pfarrer sie einmal gefragt habe, was das denn solle: Wer lege schon Blumen auf ein Blumenbeet? Den Mut, ihm die Wahrheit zu erzählen und zu bitten, ihre andere Katze hier auch begraben zu dürfen, gestand I., habe sie einfach nicht. Obwohl sie mittlerweile sogar ein Brett und einen Stein zum Beschweren besorgt habe – aber vielleicht, schloss sie, sei das ohnehin besser, wenn sie die zweite Katze anderswo beerdigen müsse: Beim Graben eventuell auf die Reste der ersten Katze zu stoßen, wäre nämlich dann wirklich grausig – egal um welche Uhrzeit. (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 15. November 2007)