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DER STANDARD: Die jüngste Bevölkerungsprognose bis 2050 prophezeit Wien und Niederösterreich eine Bevölkerungsexplosion, vielen anderen Gebieten in Österreich dagegen eine Ausdünnung. Wie seriös sind solche Voraussagungen?

Münz: Die Prognose geht klarerweise von der heutigen Bevölkerung und ihrer Verteilung aus. Hinzu kommen geschätzte zukünftige Geburten minus Sterbefälle sowie erwartete Wanderungen. Die Zahl der Ein- und Auswanderer ist am schwierigsten vorherzusehen. Wir haben allerdings die tatsächlichen Wanderungsmuster der jüngeren Zeit als Orientierungshilfe. Schließlich spielt die Eigendynamik der Bevölkerung eine Rolle. Es sind z.B. in der Obersteiermark, in Osttirol und im oberen Waldviertel zuletzt viele junge Leute weggezogen. Damit nimmt die Bevölkerung dort auch ohne weitere Wegzüge automatisch ab, weil es immer weniger junge Erwachsene gibt, die selber Kinder bekommen.

DER STANDARD: Welche Zukunft können Sie Österreichs Städten allgemein voraussagen?

Münz: Ziel der Zuwanderung aus dem Ausland und der Fernwanderung im Inland sind die größeren Städte. Dahin gehen vor allem Menschen, die ihren nächsten Lebensabschnitt in einer Mietwohnung verbringen werden. Menschen, die gerade eine Familie gründen, ziehen dagegen eher an den Rand der Städte oder ins Umland und bauen oder kaufen sich dort ein Haus. Das heißt: Die so genannten "Speckgürtel" werden breiter. Hinzu kommt eine Sonderstellung Wiens und seines Umlandes. Dies ist die einzige Region Österreichs, in der die Zahl der Kinder und Jugendlichen in den kommenden Jahrzehnten wachsen wird.

DER STANDARD: Warum das?

Münz: Wien und das niederösterreichische Umland Wiens gehören mit Abstand zu den "Gewinnern" der Bevölkerungsentwicklung. Der Zuwachs erklärt sich zu einem Gutteil durch Zuwanderung aus dem In- und Ausland. Jene, die kommen, sind in der Regel junge Erwachsene. Etliche von ihnen werden in der Hauptstadt-Region zukünftig Kinder bekommen – diesseits oder jenseits der Stadtgrenze. Zugleich wird es dort, wo jetzt viele Junge hinziehen, zukünftig besonders viele ältere Menschen geben. Im Umland von Wien, Graz, Linz, Salzburg und Innsbruck wird sich die Zahl der über 65-Jährigen bis 2030 verdoppeln bis verdreifachen. Das Gegenteil gilt für die Obersteiermark und das obere Waldviertel: Dort wird es wegen der Abwanderung der heute Jüngeren zukünftig nicht wesentlich mehr ältere Einheimische geben als heute.

DER STANDARD: Klingt dennoch erstaunlich: "Wien wird jünger."

Münz: Das ist einfach erklärt. Hier wächst die Zahl der Kinder und Jugendlichen, in anderen Bundesländern schrumpft sie.

DER STANDARD: Wer sind die Verlierer und Gewinner dieser Bevölkerungsprognose?

Münz: Kärnten schneidet mit Abstand am schlechtesten ab. Dieses Bundesland schafft es am wenigsten, seine Jüngeren und zu halten. An zweitletzter Stelle liegt die Steiermark. Wien, sein Umland und der Osten von Niederösterreich sind die Hauptgewinner. Wien wird wieder 2-Millionen-Stadt. Da spielt nicht nur die innerstaatliche Entwicklung eine Rolle. Die Ostregion profitiert auch vom Boom in Ostmitteleuropa. Das gilt sogar für Kleinregionen. Grundstücksmaklern berichten, dass Bewohner Bratislavas beginnen, in benachbarte Gemeinden Niederösterreichs und des Burgenlands zu ziehen. Hainburg und Kittsee werden künftig "Vororte" von Bratislava sein. Der Wegfall der Schengen-Grenze beschleunigt diese Entwicklung. Zu den demographischen Gewinnern gehören allerdings auch anderer Teile Österreichs: Graz und sein Umland, der Oberösterreichische Zentralraum, die Stadt Salzburg und ihre Umgebung, das Unterinntal und das Vorarlberger Rheintal.

DER STANDARD: Wird die junge Wiener Bevölkerung eine Multi-Kulti-Bevölkerung oder zumindest eine stark von Migranten beeinflusste Generation sein?

Münz: Mehr als ein Viertel der Wiener Bevölkerung ist entweder selbst zugewandert, oder hat zugewanderte Eltern. Ein Großteil der Zuwanderer stammt allerdings aus anderen Ländern Europas. Am schnellsten wächst derzeit die Zahl der Deutschen. Zukünftig werden in Wien noch mehr Menschen mit "Migrationshintergrund" leben. Aber die ethnische und religiöse Vielfalt wird deutlich kleiner bleiben, als dies in London, Paris oder Amsterdam heute schon der Fall ist.

DER STANDARD: Werden in Zukunft Bethäuser neben Kirchen stehen? Wie präsent wird der Islam in Zukunft in Wien sein?

Münz: Der Islam wird bei uns auf Dauer eine Rolle spielen, auch wenn sich die zugewanderten Moslems vollständig integrieren sollten. Denn niemand verlangt von ihnen, im Zuge der Integration Christen zu werden. Das unterscheidet uns heute von der späten Donaumonarchie, als sich Angehörige des jüdischen Bürgertums taufen ließen, um anerkannt zu werden und Karriere zu machen. Gustav Mahler ist ein Beispiel unter vielen. Die Frage ist allerdings, ob die Religion zukünftig ein wichtiges Identitätsmerkmal sein wird.

DER STANDARD: Steht zu befürchten, dass ein Großteil der österreichisch-muslimischen Bevölkerung nicht nur unter sich, sondern wirtschaftlich und gesellschaftlich zurück bleibt?

Münz: So etwas kann man nicht mit Sicherheit ausschließen. Aber es hängt auch von uns ab. Muslime kommen häufig aus Ländern, in denen die wirtschaftlichen Chancen schlechter sind als in Österreich. Daher gibt es wenig Anreiz, dorthin zurück zu gehen. Das bedeutet: Jene, die es bei uns nicht schaffen, bilden eine neue Unterschicht. Deshalb ist es so wichtig, Zuwanderer gezielt in den Arbeitsmarkt zu integrieren, statt für sie Hürden aufzubauen.

DER STANDARD: Werden die Alten der Zukunft jünger und rüstiger sein als heute?

Münz: Zweifellos werden sie rüstiger sein und länger leben. Und sie werden wohlhabender sein, als die Pensionistengenerationen davor.

DER STANDARD: Worauf muss sich eine Stadt wie Wien einstellen? Welche Themen muss die Politik aufgreifen?

Münz: Die Stadt muss überlegen, wo die wachsende Einwohnerzahl wohnen soll. Neue Wohnquartiere brauchen von Anfang an eine ausreichende Infrastruktur und müssen mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichbar sein. Und die Stadt könnte ihr Diversity Management weiter verbessern.

DER STANDARD: Was soll das heißen?

Münz: Die Bevölkerung wird heterogener. Das schafft neue Konfliktpotenziale und ist zugleich eine Chance. Wir müssen mehr für die Integration von Einheimischen und Neu-Bürgern tun, mehr in Bildung und Sprachförderung investieren, Barrieren im Alltag beseitigen. Das zu managen, ist keine triviale Angelegenheit – von der Schulpolitik und den Wohnbau über das Quartiers-Management und die Errichtung von Gebetshäusern bis hin zur erfolgreichen Anwerbung von Hochqualifizierten und zur Bewältigung des Familiennachzugs. Der Weg zurück zur Zwei-Millionen-Metropole erfordert zusätzliche Anstrengungen. Mitte des 21. Jahrhunderts hat Wien dann wieder so viele Einwohner wie um 1900. (Petra Stuiber/DER STANDARD, Printausgabe, 17.11.2007)