Von den Wienern war schon jeder einmal dort, viele sogar zweimal am Tag. Aber so gut wie niemand will bleiben. Die Rede ist vom Wiener Gürtel, jener mehr als 13 Kilometer langen städtischen Verkehrsader, die gemeinhin mit Vokabeln wie "Verkehrshölle" oder "Rotlicht-Meile" belegt wird. Dass am Gürtel so viele Menschen leben wie in Klagenfurt, geriet bei den zahlreichen stadt- und verkehrsplanerischen Experimenten der Nachkriegszeit leicht in Vergessenheit.

Ende des 19. Jahrhunderts anstelle des abgetragenen Linienwalles errichtet, war die "Gürtelstraße" zunächst eine begehrte Wohngegend. Die Rolle des Gürtels als Verkehrsader einer expandierenden Stadt war bereits durch den Bau der Stadtbahn, die den schnellen Transport von Arbeitskräften und Gütern erlaubte, vorgezeichnet - im Wien der Jahrhundertwende ein Standortvorteil, der die Mieten für Wohn- und Geschäftsraum um das bis zu 14fache steigen ließ. Der schleichende Niedergang setzte erst mit Beginn der Motorisierung und des Individualverkehrs in der Zwischenkriegszeit ein. Und mit Beginn der Wirtschaftswunderjahre verkam der Gürtel endgültig zur Rennstrecke zwischen Tangente, Westeinfahrt und Donaukanal.

Doch der Gürtel könnte auch heute noch ein lebenswerter Stadtraum für seine Anrainer sein, davon sind die Autorinnen des vorliegenden Bandes überzeugt. Ihre Erfahrungen als Mitglieder der Arbeitsgruppe "Verkehr" des Bürgerbeteiligungsprojektes "Zielgebiet Gürtel" der Stadt Wien - der bisher letzten stadtplanerischen Initiative rund um den Gürtel - waren der Ausgangspunkt für ihre Darstellung seiner wechselvollen Geschichte: Sie begegneten dabei manch einer überraschenden Tatsache und lassen Menschen zu Wort kommen, deren Leben eng mit dem Gürtel verknüpft ist. (Doris Hahn/DER STANDARD – Printausgabe, 20.11.2007)