Viel zu wenig Briefe werden heutzutage, in den Zeiten von Email und SMS, verschickt. Dabei vergisst man immer darauf, wieviel Freude so ein kleines, liebevoll gestaltetes Werk beim Empfänger auslöst. Wir freuen uns mit den PensionistInnen über den neuen Kanzlerbrief und mit den LehrerInnen über den Molterer-Brief, wollen es dabei aber nicht belassen. Auch die Millionen Nicht-PensionistInnen und Nicht-LehrerInnen haben ein bisschen vorweihnachtliche Fürsorge verdient! Liebe Politiker: Warum nicht einmal beim Briefmarkenkauf über die Stränge schlagen und allen BürgerInnen eine kleine Freude bereiten? Oft landet ein nett gemeintes Wort, eine fürsorgliche Geste, ungelesen in Politikerschubladen. Zu Unrecht: derStandard.at hat einige nie abgeschickte Briefe an WählerInnen ausgegraben.
  • "Liebes faules Gesindel,

Hand aufs Herz: Hatten Sie in den letzten Jahren manchmal das Gefühl, dass Sie vom Wohlstand des Landes nicht Ihren gerechten Anteil bekommen? Fühlten Sie sich vielleicht von der Politik unfair behandelt? Ja? Und zu was: zu RECHT. Dieses ewige Gejammer der StudentInnen ist ja nicht zu ertragen. Mittags aufstehen und sich dann einen Lenz im gutgeheizten Hörsaal machen, abends dann wilde Partys, statt Kindererziehung - so gehts nicht!

Eure Elisabeth G." (Anm.: Postgebühr zahlt Empfänger)

  • "Ich grüße Euch, Schwestern und Brüder im Geiste.

Hand aufs Herz: Hatten Sie in den letzten Jahren manchmal das Gefühl, dass Sie vom Wohlstand des Landes nicht Ihren gerechten Anteil bekommen? Fühlten Sie sich vielleicht von der Politik unfair behandelt? Es ist ein Jammer, und mehr als je zuvor kann ich Euch sagen: Die freiheitliche Familie hat Platz für jeden, der sich ausgestoßen fühlt. Also, jeden außer den Ausländern, den Linken, den Arbeitslosen, den Asozialen, den Liberalen - naja, sonst aber wirklich für fast jeden. Für die ersten neuen Gesinnungsschwestern und -Brüder gibt es ein Sonnwendfeuer fürs Nachtkasterl gratis, Mit treuen Grüßen

Eure Barbara Rosenkranz"

  • "Liebe Freundinnen und Freunde,

Hand aufs Herz: Hatten Sie in den letzten Jahren manchmal das Gefühl, dass Sie vom Wohlstand des Landes nicht Ihren gerechten Anteil bekommen? Fühlten Sie sich vielleicht von der Politik unfair behandelt? Ist es nicht unfassbar - genauso geht es mir! Da versuche ich Tag für Tag ein bisschen gute Stimmung in diese verkorkste Ministerbande zu bringen, und was ist der Danke: Verachtung. Spott. Häme. Die Politik ist einfach noch nicht reif für soviel geballte gute Laune. Für Beileidsbekundungen habe ich eigens ein Kondolenzpostfach eingerichtet, meine Adresse haben Sie ja jetzt.

Nur zu! Ihre Andrea Kdolsky"

  • "Liebe Bürger,

Hand aufs Herz: Hatten Sie in den letzten Jahren manchmal das Gefühl, dass Sie vom Wohlstand des Landes nicht Ihren gerechten Anteil bekommen? Fühlten Sie sich vielleicht von der Politik unfair behandelt? Und jetzt stellen Sie sich vor, Sie wären kein einzelner Mensch, sondern eine ganze Partei, und eine supere noch dazu - und trotzdem geht es Ihnen so. Unterdrückt von den Mächtigen, gemieden von den Medien, eine Partei einsamer Wölfe, quasi. Unermüdlicher Kämpfer für die Rechte (meistens gegen die Linke). Und da wagen Sie es zu jammern? Sie, der Sie ohnehin immer auf der Butterseite des Lebens landen? Sie unwürdiger Knilch! Das schreit nach Satisfaktion!

HC Strache"

  • "Liebe WählerInnen und Wähler,

Hand aufs Herz: Hatten Sie in den letzten Jahren manchmal das Gefühl, dass Sie vom Wohlstand des Landes nicht Ihren gerechten Anteil bekommen? Fühlten Sie sich vielleicht von der Politik unfair behandelt? Das ist jetzt vorbei. All die Enttäuschungen, all die gebrochenen Versprechen, die Entbehrungen - jetzt können Sie endlich den Lohn dafür einfahren. Denn ER ist da, ER, auf den Sie alle gewartet haben. Der einzige, der echte, der beste Eurofighter aller Zeiten. Das war es doch was Sie wollten, habe ich nicht recht?

Danken Sie nicht mir, danken Sie dem Kanzler.

Ihr Norbert Darabos"

  • "Liebe Kinder,

Hand aufs Herz: Hattet Ihr in den letzten Jahren manchmal das Gefühl, dass Ihr vom Wohlstand des Landes nicht Euren gerechten Anteil bekommt? Fühlt Ihr Euch vielleicht von der Politik unfair behandelt? Ich verstehe Euch, und ich kann Euch weiterhelfen. An all dem ist der böse Onkel Gusenbauer schuld. Und die Tante Schmied meint es auch nicht gut mit Euch, der dürft Ihr nichts glauben. Die wollen Eure schönen Schulstunden, in denen Ihr immer so nett zusammensitzt, einfach auflösen, und Ihr müsst dann mit ganz dummen, gemeinen Ausländerkindern in einer Klasse sitzen. Damit das nicht passiert, müsst Ihr einfach Folgendes machen: Wenn irgendwer das Wort "Gesamtschule" sagt, fangt Ihr gaaaaanz laut an zu weinen oder haltet wahlweise die Luft an, bis Ihr blau werdet. Mami und Papi dürft Ihr den Brief aber nicht zeigen. Sonst bringt Euch das Christkind nichts.

Euer Onkel Fritz Neugebauer" (Dokumentiert von Anita Zielina, derStandard.at, 20.11.2007)