Der Motorradfahrer hatte den Kleinbus übersehen. Und auch der grüne Pkw hatte keine Chance mehr, auszuweichen. Jetzt hält sich die Frau im Bus eine blutende Platzwunde am Kopf, während der Mann am Steuer des demolierten anderen Autos zu fluchen beginnt. Fünf Meter weiter liegt der Motorradfahrer mitten auf der Straße. Wem würden Sie zuerst helfen? Glücklicherweise kann man sein Verhalten in so einer Situation einfach ausprobieren: Das Handyspiel "Crisis", Teil des Projekts "mobile Game-Based Learning" (mGBL), versetzt Menschen in Extremsituationen, um die richtige Verhaltensweise zu trainieren.

"Zielgruppe unseres Projektes sind Lehrende an Schulen, Unis oder in der betrieblichen und außerbetrieblichen Fortbildung. Und natürlich auch Schüler und Studenten", sagt Brigitte Krenn, wissenschaftliche Leiterin des Researchstudios Smart Agent Technologies. Mithilfe solcher Krisensimulation könnten die Spieler die Vorgehensweise oder Problemlösungsstrategie gefahrlos austesten - und so für den Ernstfall einüben. Simulationen am Heim-PC erfüllten natürlich dieselbe Funktion. Großer Vorteil der mobilen Lernspiele sei: Man könne sie nahezu in jeder Situation spielen - beim Warten auf den Bus oder in der Mittagspause. "mobile Game-Based Learning soll so die Effektivität und Effizienz des Lernens für die jugendliche Zielgruppe verbessern", sagt Krenn.

Quiz für das Handy

Neben der Krisensimulation für die Jackentasche haben Krenn und ihre Kollegen noch ein Quiz für das Handy entwickelt. In dem Spiel wird der Benutzer mit Fragen und verschiedenen Antwortmöglichkeiten konfrontiert. Das System gibt Rückmeldung, ob die gegebene Antwort richtig war, entsprechend werden Punkte vergeben. "Das ist vergleichbar mit der Millionenshow - nur werden in unseren Spielen pro Spiel Fragen zu bestimmten eingegrenzten Themen gestellt, wie Erste Hilfe", erklärt Krenn. Die Idee ist, dass zuerst über das Quiz einzelne Wissensinhalte trainiert werden - etwa wer wann wie verarztet wird oder was in eine Hausapotheke gehört - und dieses Wissen dann angewandt werden kann.

Die Projektidee basiere auf der Tatsache, dass mobile Geräte wie Handys oder PDAs das repräsentieren, was viele Erwachsene unterschiedlicher Bildungsstufen und "Kulturniveaus" gemeinsam haben, so Krenn. Darüber hinaus hätten diverse Projekte bereits das Potenzial von spielebasiertem Lernen aufgezeigt.

Zusammen mit elf europäischen Partnern arbeitet Krenn an dem noch bis September 2008 laufenden Projekt, das von der Europäischen Union im Rahmen des 6. Rahmenprogramms gefördert wird. Das Gesamtbudget liegt bei 2,5 Millionen Euro. Bis dahin gebe es aber noch einiges zu tun. Informatiker, Pädagogen, Psychologen, Erwachsenenbildner, Lehr- und Lernexperten arbeiten zurzeit an zwei weiteren Lernspielen, die bis zum Projektende fertiggestellt sein sollen. Auch an den Web- Editier-Interfaces und den Download-Mechanismen für die Handyspiele von einem Webserver werde gefeilt.

Mehr Interaktionsmöglichkeiten

Christian Swertz, Medienpädagoge an der Uni Wien, hält die Krisensimulation für interessant. "Das ist eine Möglichkeit, intuitive Entscheidungen zu trainieren." Börsensimulationen arbeiteten nach demselben Prinzip. Lernspiele müssten aber in einem größeren Kontext eingebaut werden. Das gelte vor allem für die Quizanwendung, die ohne pädagogischen Unterbau auf der Theorie der programmierten Unterweisung zurückbliebe.

"Ich würde mir auch noch mehr Interaktionsmöglichkeiten mit anderen Usern wünschen", so Swertz. Eines der Spiele, die noch programmiert werden müssen, setze auf Zusammenarbeit, sagt Krenn. Die ersten Tester interessierte der pädagogische Wert aber überhaupt nicht: "Sie hatten nur einen Heidenspaß an den Spielen." (Denis Dilba/DER STANDARD, Printausgabe, 21. November 2007)