Der zeitgenössische Wohnbau spiegelt die Bedürfnisse der Gesellschaft wieder. Geplant sind nicht nur Neubauten, sondern auch Revitalisierungen von alter Bausubstanz.

Foto: Der Standard/ Christian Fischer
Wien wächst auch in die Breite. Gezielte Maßnahmen sollen neuen Wohnansprüchen Rechnung tragen: vor allem sozialer Durch- mischung und Niedrigenergiestandards - Von Wojciech Czaja

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Prognosen zufolge soll Wien in 30 Jahren zwei Millionen Einwohner haben – so viel wie bereits um 1900. Schon jetzt rüstet sich die Stadtregierung für den bevorstehenden Bevölkerungszuwachs und errichtet pro Jahr etwa 5500 geförderte Wohnungen. "Wir fördern aber nicht nur den Neubau, sondern auch die Altbausanierung", erklärt Wohnbaustadtrat Michael Ludwig, "auf diese Weise werden jährlich etwa 10.000 Wohnungen saniert."

Im Bereich des Westgürtels, also in den Bezirken 6 bis 9 und 14 bis 18, sind derzeit 400 Wohnbauprojekte in Planung oder bereits in Bau. Durch das Engagement einiger Bauträger, die sich zunehmend auch mit Revitalisierung heruntergekommener Stadtviertel auseinandersetzen, gelang es bereits, einige Initialzündungen zu setzen.

Infrastruktur nicht vorhanden

"Die Bausubstanz der Gründerzeithäuser ist oft devastiert, die Infrastruktur ist nicht mehr vorhanden, die Freiräume lassen zu wünschen übrig, und was das soziale Milieu betrifft, ist die Bevölkerung weder durchmischt, noch integriert", erklärt Susanne Reppé vom Bauträger Gewog, "durch gezielte Sanierungsmaßnahmen können Wohnbauträger dazu beitragen, nicht nur die Wohnqualität im Haus zu heben, sondern auch ganze Grätzel aufzuwerten."

Hälfte der Haushalte sind Singlewohnungen

Wichtiger Punkt im Wohnbau der kommenden Jahre: Bereits heute hat Wien mit rund 46 Prozent den bundesweit höchsten Anteil an Singles. In den kommenden 25 Jahren wird mehr als die Hälfte aller Wiener Haushalte von Singles bewohnt sein. "Wir müssen viele Möglichkeiten für neue Wohn- und Lebensformen anbieten", erklärt Michael Pech, Vorstand des Bauträgers ÖSW (Österreichisches Siedlungswerk), "und wir müssen akzeptieren, dass es unter anderem die jungen und alleinstehenden Menschen sind, die in Zukunft den Ton angeben werden."

Mit vereinzelten Revitalisierungsprojekten und Themenwohnbau allein wird Wien jedoch nicht das Auslangen finden. Wichtiger als je zuvor wird es sein, die Bebauung innerstädtischer Brachflächen in Angriff zu nehmen.

Aufgelassene Kasernen

Eine große Rolle spielen nach Angaben der Stadtregierung die ehemaligen Kasernenareale, die im Zuge der Bundesheer-Reform zusehends aufgelassen und verkauft werden. Auf dem Gelände der Erzherzog-Karl-Kaserne in Donaustadt entstehen in den kommenden Jahren 650 Wohnungen. Auch die Wilhelmkaserne in Leopoldstadt wird in Zukunft dem Wohnen dienen. Für weitere ungenutzte Areale des Bundesheeres ist bereits die Ausschreibungsphase eingeleitet.

Das Hauptaugenmerk der Stadt Wien richtet sich derzeit jedoch auf die ehemaligen Aspanggründe im 3. Bezirk. Schon seit Jahren liegt ein Masterplan des britischen Architekten Lord Norman Foster vor. Nun soll das Projekt Eurogate realisiert werden. "Die Aspanggründe sind für uns so interessant, weil wir dort eine der größten Passivhaussiedlungen Europas errichten werden", erklärt Stadtrat Ludwig.

Wettbewerb für Passivhäuser

Aus einem Bauträgerwettbewerb gingen sieben Architekten- Bauträger- Teams als Gewinner hervor. Baubeginn ist im Sommer 2008. Bei Fertigstellung aller Bauabschnitte im Jahr 2016 wird es rund 1700 Wohnungen für 4000 bis 5000 Menschen geben. Gemeinderat Christoph Chorherr wirkt zufrieden: "Europas größter Wettbewerb für Passivhäuser zeigt, dass der energiesparende Passivhausbau im normalen Hausbau angekommen ist. Nicht nur für den Klimaschutz, sondern auch für das Geldbörsl sind Passivhäuser ohne Zusatzheizung das Gebot der Stunde. Dieses Projekt ist hoffentlich Vorbild für viele noch folgende Passivhaus-Projekte."

Aus Gründen der Energieeffizienz wurden in den letzten Jahren auch viele Gemeindebauten thermisch saniert. "Abhängig vom Zustand der Bausubstanz wird für jedes einzelne Objekt entschieden, ob und welche Art der Sanierung sinnvoll und auch finanzierbar ist", erklärt Hanno Csisinko, Mediensprecher von Wohnbaustadtrat Ludwig, den Ansprüchen eines Passivhauses werde man mit dieser Methode jedoch nicht gerecht. "Unser Ziel ist es, die Gemeindebauten langfristig auf Niedrigenergiestandard zu heben. Passivhaus-Standard ist bei diesen alten Bauten nicht sinnvoll und unrentabel."

Aus für Gemeindebau

85 Jahre dauerte die Geschichte des Wiener Gemeindebaus. 1919 war mit dem Metzleintalerhof am Margaretengürtel die erste Anlage eröffnet worden, 2004 stellte man in Liesing das letzte Projekt dieser Ära fertig. "Neubauten wird es in Zukunft nicht mehr geben", so Csisinko, "es hat sich herausgestellt, dass die Wohnbauträger günstiger bauen können als die Stadt Wien." Zudem erziele man mit den Bauträger-Wettbewerben – ein Modell, das international für Aufsehen sorgt – eine architektonische Qualität, die im geförderten Wohnbau bis heute einzigartig ist. Der Bestand der Gemeindewohnungen beläuft sich auf 210.000. Damit wohnt jeder dritte Wiener in einer Wohnung der Gemeinde Wien. (Wojciech Czaja/Der Standard, Printausgabe, 21.11.2007)