Sigur Rós

Foto: EMI

Ein Kühlschrank, wen das nicht berührt! Zugegeben, diese Zeile könnte man noch jedem Text über ein Album der isländischen Band Sigur Rós voranstellen, und solange diese nicht mit, sagen wir, DJ Ötzi kollaboriert, wird er wohl auch weiterhin berechtigt und wahr bleiben. Das nun erschienene Doppelalbum Hvarf/Heim (EMI) unterstreicht die Fähigkeiten dieser Formation, sich in der alle Sprachen hinter sich lassenden Weltsprache Musik auf eine Art mitzuteilen, die trotz diverser Anbindungen an im Pop gängige Schemata und Vorgänger, etwa This Mortal Coil, relativ vergleichslos erscheint.

Die atmosphärisch zerdehnten Stücke, die wie impressionistische Landschaftsgemälde im Licht der Mitternachtssonne erscheinen, die das bisschen Wärme in der Kälte des Permafrosts dort oben, irgendwo am Polarkreis, einfangen und die Sänger Jón Þór "Jónsi" Birgisson wahlweise Englisch, Isländisch oder in der Fantasiesprache Vonländisch - auch Hopeländisch - formuliert, verfehlen auch dieses Mal nicht ihre Wirkung. Zweigeteilt präsentiert das Album zwei Seiten der Band. Heim ist großteils akustisch gehalten und bildet damit die Arbeit der Band ab, wenn diese in Gegenden ihrer Heimat spielt, in denen schlicht kein Saft aus der Steckdose kommt oder es so etwas wie Steckdosen gar nicht gibt: Piano, Schlagzeug, Orgel und Akustikgitarre sowie das Instrument Stimme reichen aber vollkommen aus, um das Herzblut wahlweise gefrieren oder gerinnen zu lassen.

Dass die charakteristische Kopfstimme Birgissons allerdings nicht nur die Fähigkeit besitzt, die schaurig- bis wohlig-schön in Songs gegossenen Ambivalenzen zu veredeln, sondern auch in vollem Cinemascope-Format zu überzeugen vermag, belegt schließlich Hvarf. Jener Silberling, der elektrisch tönt und auf dem man die in den frühen 90ern gegründete Band in einer Intensität erlebt, die sie sich bisher meist versagt hat: Hier werden hohe Gitarrenwände errichtet, grimmigen Riffs mit großer, ausholender Geste Nachdruck verliehen und auch das Schlagzeug nicht nur zärtlich gestreichelt, sondern eher ungewohnt rockistisch seinem Zweck zugeführt: Etwa in den Stücken Hlijómalind, Í Gær oder Von.

Hvarf beeinhaltet drei neue und zwei überarbeitete Versionen älterer Songs, während Heim sechs akustische Bearbeitungen bekannter Sigur-Rós-Stücke bietet. Beide Alben entführen die Hörer mit bestechender Klangkunst und Soundforscherei in die seltsam-introvertierte Welt von Sigur Rós, die stark mit ihrer Heimat verbunden ist. Der Faszination förderlich ist der von Regisseur und Sigur-Rós-Fan Dean DeBlois produzierte Film Heima , der die vier auf einer zweiwöchigen Konzertreise durch Island begleitete und filmte. Auch das: ein ästhetisch betörendes Meisterwerk! (Karl Fluch / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23.11.2007)