Brigitte Kowanz hat im Marmorsaal des Oberen Belvedere drei Lichtobjekte installiert.

Foto: Belvedere/Woessner

Den philosophischen Rückhalt zum Dekor liefert Gilles Deleuze.


Wien – Seitdem die "Intervention" als Praktik der bildenden Kunst gemeinhin üblich geworden ist, längst schon ihre eigene Tradition ausgebildet hat, kann man annehmen, dass es nicht immer nur die Künstler sind, die quasi von einem Raum zum "Sich-Einschalten" herausgefordert werden. Umgekehrt werfen auch die Veranstalter immer wieder einmal einen Raum zum gefälligen Intervenieren auf den Markt.

Auch so wird "Programm" generiert. Und immer noch legt der Begriff "Intervention" nahe, das Programm wäre ein avanciertes, stünde ihm doch nicht die Institution vor, sondern des Künstlers freier Wille. Jedenfalls ist eben Brigitte Kowanz dazu gekommen, im Marmorsaal des Oberen Belvedere in aller Freiheit zu intervenieren, was heißt, themenbezogen zu arbeiten und nicht etwa bloß eine Installation anzubringen.

Kowanz arbeitet wie immer mit Licht. Licht als immateriellem Träger von Information. Im Speziellen von Information über das Barock, dessen Ausprägung sie vor Ort eine verschlüsselte Definition eingeschrieben hat, den Raum mit einer möglichen Erkenntnis zu seinem Wesen erleuchtet: "Die ins Unendliche gehende Falte ist das Charakteristikum des Barock." Gilles Deleuze hat sich das so ausgedacht. Aufgeschrieben findet sich der Satz im Buch "Die Falte. Leibnitz und das Barock".

Zerlegt findet sich der Satz in den Titeln der drei Elemente, die Kowanz’ Eingriff ins historische Gefüge konstituieren: Ins Unendliche, Ad Inifinitum und Die unendliche Falte. Ausgesprochen findet sich der Satz in Morsezeichen formuliert als von der Decke hängende Verkettung von Neonlichtern.

Leibnitz light

Man kann das jetzt entweder glauben oder sich die schwindende Kulturtechnik des Morsens wieder aneignen oder die Objekte am Boden als Einstiegsluken ins Unendliche wählen: Verschlungene Neonröhren bilden da spiegelgestützt Pfade aus, die gleich dem Deckenfresko oder den Fenstern ganz weit fortführen, ganz ohne dass man dafür jetzt eigens ein Argumentum zur Anwendung bringen müsste.

Das Barock und Leibniz werden da ganz spielerisch über die Sinne erfahrbar, was jedenfalls ebenso den Zeitaufwand für die Abarbeitung des Deleuze-Handapparates minimiert, wie es einem die Arbeit an den Prämissen erspart. Erleichtert wird dieser intuitive Einstieg in die Intervention durch die kristalline Verschalung des Tors zur Unendlichkeit. Mit dem Kristall, der stets auch Zukunft zeigt, wird noch Deleuze zum Märchen. Gut so. Und: egal. Jedenfalls spiegelt sich das Schiefrunde des Barock in Kowanz’ Objekten, stürzen Proportionen, wird "Atmosphäre" weiter aufgeladen, erscheint der Raum gefangen im Kaleidoskop in anderer Gestalt; und erscheint schließlich Brigitte Kowanz zuhause in ihrem Element.

Jedenfalls hat sie Luster nun auch am Boden angebracht, Lichtspender, die so gleißend wie edel den Eindruck des Ungewöhnlichen provozieren. Ihre Lichtspiele erfüllen die Repräsentationspflicht, die dem Raum seit je auferlegt ist. Sie faszinieren die Gäste, die da staunen ob der Leichtigkeit, mit der der Marmor in die Tiefe hin aufgebrochen wurde, der historischen Substanz eine ebenso zeitgemäße wie stimmige Beifügung zugetragen wurde.

Jedenfalls trägt ihre Intervention zur Befriedigung ebenso der Lage wie aller Beteiligten bei. Sie hat gemacht, was sie immer macht, ein neue Ordnung eingeführt, dem speziellen Raum einen neue Rahmung gegeben. Ein paar Wochen lang ist der Marmorsaal des Oberen Belvedere noch attraktionenreicher, vielleicht noch hübscher. Und Gilles Deleuze ist ohnehin geduldig. (Markus Mittringer / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23.11.2007)