In den 80er-Jahren wurde sogar eine Schallplatte mit der Wiener Landeshymne herausgebracht

Jeweils montags und donnerstags eine Stadtgeschichte Thomas Rottenberg

Es war am Freitag. Da leiteten die Kolleginnen aus der derStandard.at/Panorama-Redaktion das Mail von Frau U. weiter. Und stürzten mich so in ein Fanal von Selbstvorwürfen. Schließlich hatte ich jahrelang die Unwahrheit gesagt. Schlimmer: Ich hatte sie als Quelle für Witze und Blödeleien herangezogen und mitgeholfen, sie öffentlich zu verbreiten.

Ob wissentlich oder nicht, spielt keine Rolle: hatte ich denn versucht, herauszufinden, ob das, was ich erzählte, wahr war? Nein. Und darum ist es nur würdig und recht, wenn die Wogen der Empörung über mir zusammenschlagen und ich mir schamerfüllt Asche aufs Haupt streue: Ich hatte behauptet, Wien habe keine eigene Landeshymne. Und das ist eine Lüge.

BZÖ-Forderung

Es war im Februar 2007 und an dieser Stelle geschehen: Das BZÖ hatte in seiner umfassenden Fürsorge erkannt, dass Wien eine Hymne fehle – und gleich eine vorgeschlagen (Falco; „Vienna Calling“). Und anstatt der Manko-Analyse der Orangen mit der gebührenden Skepsis entgegenzutreten, sie nachzuprüfen und zu entkräften, hatte ich die Idee aufgegriffen. Aber für „Ganz Wien“ plädiert.

Aber nun – genauer: am 21. November – meldete sich Frau U. bei derStandard.at. und erklärt, dass Wien ohnehin eine Landeshymne Hymne hat. Mehr noch: Ihr Vater hat sie geschrieben. Aber lassen wir Frau U. selbst erzählen:

Das Mail der Frau U

„Liebes Team! Ich habe in Ihrer Homepage im Artikel vom 18.2.2007 – "Landeshymne" – gesehen, dass Sie glauben, dass es keine Wiener Landeshymne gibt. Hiermit möchte ich Sie gerne informieren, dass mein Vater, Prof. Walter Bäck, den Text – und der Komponist Herbert Ober gemeinsam den "Hymnus auf Wien" verfasst haben, der mehrmals aufgeführt wurde Auch eine Platte wurde gepresst(siehe Bild). Das war während der 80er-Jahre. Diese Hymne wurde mit dem damaligen Bürgermeister der Stadt Wien: Dr. Helmut Zilk gemeinsam mit meinem Vater persönlich besprochen. Für weitere Informationen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung. Herzliche Grüße U.“

Später Recheck

Ich tat, was sich für einen Journalisten in so einem Fall gehört: Ich fragte nach. Nicht bei Frau U., sondern an der Quelle. Im Büro des Bürgermeisters. Schließlich, so hatte es Frau U. ja geschrieben, hatte Helmut Zilk persönlich mit ihrem Vater die Sache mit der Hymne besprochen. Wo, wenn nicht in den Büros von Zilks derzeit amtierendem Statthalter, würde man mir also weiterhelfen können?

Doch falsch: Des Bürgermeisters Pressesprecher lachte nur, als ich (ohne Frau U. zu erwähnen) nach der Landeshymne fragte. Dann verhöhnte er mich kurz. (Er darf das – wir kennen einander seit Ewigkeiten. Ab und zu höhne ich deshalb auch zurück.) Doch als ich ihm Frau U.s Mail um die Ohren schnalzte, wurde der Mann plötzlich still. Sehr still. Und versprach, sofort nachzuforschen.

Verzweifelt

Stunden später rief er wieder an: Ob ich denn genaueres wüsste? Er klang verzweifelt: Er fände keine Spur der Hymne. Keine Platte. Keine Wachswalze. Keine Aktennotiz. Keinen Gemeinderatsbeschluss. Keinen Antrag im Landtag. Und alle, die er frage, seufzte des Bürgermeisters Pressemann, würden in etwa so reagieren, wie er, als ich ihn angerufen hatte. Darum gebe es nun nur eins: Die Hymne muss her! Nicht nur aus politischen und historischen Gründen: Auch sein Ruf stehe hausintern nun auf dem Spiel. Ob Frau U. denn eventuell auch den Text geschickt oder gar ein Soundfile attached hätte?

Ich musste den Sprecher enttäuschen: Alles, was Frau U. uns verraten hatte, hatte ich in seine Hände gelegt. Mehr gebe es nicht. Der Mann begann leise zu schluchzen. Wir wussten beide warum: Wien hat eine Hymne – aber die Stadt hat sie verschlampt. Daran besteht kein Zweifel. Schließlich hat Helmut Zilk es einst so besprochen. Also verfügt. Und offizieller, ewiger und gültiger kann in dieser Stadt nichts dekretiert werden. (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 26. November 2007)