Wien - Sie wurden zu doppelten Opfern. Als Zwangsarbeiterinnen und als Frauen. Wie ein bleierner Vorhang der Geschichte schob sich nach dem Krieg ein doppelt wirksames Tabu davor, das erst allmählich zu bröckeln beginnt. Zum Vorschein kommt eine spezifische Form der Gewalt gegen Frauen in der NS-Zeit. Zwangsabtreibungen an Fremdarbeiterinnen. Ein "Mantel des Schweigens" liege über dem Thema, "dessen Dimension völlig unterschätzt wurde", bestätigt Roman Sandgruber, Vorstand des Instituts für Wirtschafts-und Sozialgeschichte an der Universität Linz, im STANDARD-Gespräch. In Linz habe es eine eigene "Abtreibungsbaracke" gegeben, wo vor allem Arbeiterinnen aus dem Osten der erzwungenen Prozedur ausgesetzt waren. Die Historikerin Gabriella Hauch vom Ludwig Boltzmann Institut für Gesellschafts- und Kulturgeschichte der Linzer Uni forscht über Zwangsabtreibungen in der Linzer Frauenklinik und dem Allgemeinen Krankenhaus. Die penibel geführten Karteikarten dokumentieren alleine in diesen beiden Spitälern 700 Zwangsabtreibungen zwischen 1943 und 1945, berichtet Sandgruber über die Forschungsarbeit seiner Kollegin Hauch. Die Dunkelziffer sei wohl höher, da auch in anderen Orten Frauen zur Abtreibung gezwungen worden sein dürften. Anfangs versuchten die Nazis, sich schwangerer Ostarbeiterinnen buchstäblich zu entledigen, indem diese zurück in ihre Heimat geschickt wurden. Später wurden die Zwangsabtreibungen institutionalisiert, um die Frauen als Arbeitskräfte zu erhalten. Sogar diese Praxis hatte ein "rassistisches Element mit ungeheuren Diskriminierungen und starken Hierarchisierungen", erklärt Sandgruber. Abtreibungen gegen ihren Willen mussten vor allem Frauen aus dem Osten über sich ergehen lassen, nicht aber französische Zwangsarbeiterinnen. Gleichzeitig war Abtreibung an "deutschen Frauen hoch sanktioniert und mit der Todesstrafe belegt". Das österreichische Entschädigungsgesetz sieht übrigens (anders als das deutsche) auch für "Ostarbeiterinnen", die "zum Schwangerschaftsabbruch genötigt wurden" eine Entschädigung von 5000 Schilling vor. Lisa Nimmervoll (D ER S TANDARD , Print-Ausgabe, 22.8. 2000)