Tage mit Samowar, in deren immer gleichem Rhythmus das Leben dahinfließt, sanft verblassend. Wir kennen sie aus Anton Tschechows Theaterstücken wie seinen Erzählungen: Menschen in Gutshäusern, in der russischen Provinz, die der Mangel an Gesellschaft, an Veränderung die Auflösung der Eintönigkeit in der eigenen Fantasie suchen lässt - in "Moskau". Zwei solcher Tschechowscher Traumrealisten begegnen einander in der Krankenstation 6 eines heruntergekommenen Land-Hospitals, die der gleichnamigen Erzählung ihren Titel lieh. Dort, in einem verdreckten Nebengebäude der Krankenanstalt, leben, von der Öffentlichkeit vergessen und von einem derben Bediensteten bewacht, Jahr um Jahr die Narren des Ortes, fünf Männer. Unter ihnen Ivan Gromov, der Belesene, dessen Gedanken über die Willkür des russischen Justizapparats folgerichtig in einen Verfolgungswahn mündeten.

Just in ihm erkennt Andrej Ragin den einzigen Gesprächspartner, der Anstaltsarzt mit den groben Knochen und den zarten Manieren, dem Befehle, Anordnungen und Verbote nicht über die Lippen finden - und der seine Tage damit hinbringt, über die Sinnlosigkeit der Medizin zu grübeln. Wozu dem Menschen den Schmerz lindern? Wenn es der Schmerz ist, der ihn über seinen Ort in der Schöpfung sinnieren lässt ... Der Begegnung der beiden wundersamen Denker in der Dorfeinsamkeit im Zeichen des Närrischen zu lauschen im geruhsamen Erzählstrom des wunderbaren Dieter Mann, kann durchaus zu den großen Adventgenüssen dieses vorzeitig in Kälte gewandeten Winters gezählt werden. Im Mund ein Schluck heißer Tee - und dazu ein Löffel Kirschmarmelade. (Cornelia Niedermeier /DER STANDARD, Printausgabe, 1./2.12.2007)