Das Werk Conrads ist in zahlreichen, auch preiswerten Taschenbuchausgaben greifbar. Anlässlich seines 150. Geburtstages erschienen heuer zwei Conrad-Biographien: Elmar Schenkels "Fahrt ins Geheimnis. Joseph Conrad", € 25,60, Fischer Verlag und John Stapes und Eike Schönfelds "Im Spiegel der See", € 41,10, Mare Verlag.

Buchcover: Mare Verlag

"Facing it, always facing it, that's the way to get through. Face it.": Joseph Conrad. Das Bild am Buchcover entstand im Jahr 1923.

Buchcover: Fischer Verlag
Den Seemann Józef Teodor Konrad Korzeniowski, geboren am 3. Dezember 1857 in Berdyczów in der heutigen Ukraine, habe ich zwanzig Jahre lang auf seinen Schiffen begleitet - jetzt aber warte ich auf den Schriftsteller Joseph Conrad. Zwanzig Jahre bin ich mit dem Seemann gesegelt, nicht weil die See schön war, sondern weil ihr unberechenbares Element mir eine Wirklichkeit menschlicher Bindungen versprach. Zuerst mit der Schmuggel-Barke "Tremolino", belauert von Zollkuttern, zwischen Marseille und Barcelona. Dann bin ich mit ihm in der Nordsee zwischen Lowestoft und Newcastle gekreuzt, mit Norfolk-Leuten, "jeder wie für die Ewigkeit gebaut, und farbig wie eine Weihnachtskarte", mit Männern "von wenigen Worten", von denen der junge Pole, aus der Kunst, mit einem Segelschiff umzugehen, die Kunst der englischen Sprache lernte, eine Kunst, die nur mit vollkommener "Redlichkeit" allem Sachlichen gegenüber betrieben werden konnte. Im Sommer war ich mit ihm Matrose auf der "Duke of Sutherland", einem Wollklipper, der nach Australien ging, erlitt mit der "Palestine" mit einer Ladung Kohlen, für Bangkok bestimmt, mehrere Havarien, die Kohlen hatten sich selbst entzündet, wir verließen das brennende Schiff in Booten und landeten nachts an der Javaküste. Dann mit der "Narzissus" nach Bombay, mit dem Schraubendampfer "Vidar" im Malayischen Archipel, zwischen Singapur und Borneo kreuzend. Dort musterte Conrad ab und wurde über Nacht Kapitän in Bangkok, wo ein Segelschiff namens "Otago" führerlos eingelaufen war. Dieses Gespensterschiff war die schwerste Nervenprobe seines bisherigen Lebens.

Dann den Kongo aufwärts mit dem Heckraddampfer "Roi des Belges" bis Stanley Falls, in das Herz des dunklen Erdteils, das einige Jahre vorher einer der berühmten "weißen" Flecken auf der Karte gewesen war, in die trübe Welt der Zivilisation, in das "Herz der Finsternis", in dieses sumpfige Gemisch aus Hinterhältigkeit und seiner abstoßenden Gesellschaft von Geschäftemachern.

Doch jetzt, beim Eingang des Hauses 17 Gillingham Street in London, einen Hausblock südlich der Victoria Station, an diesem kalten Herbstabend, erwarte ich nicht den Seemann Konrad, sondern den Schriftsteller Conrad. Er hat nämlich die Anfänge eines Romans in der Tasche, der ja allein schon ein Beweis für die Ungewöhnlichkeit dieses Seemannslebens ist. Aber trotz des wachsenden Stoßes beschriebenen Papiers denkt dieser Seemann einfach nicht daran, aus dem Schreiben einen Beruf zu machen.

Noch einmal bin ich mit ihm auf einem Segler, der "Torrens", fast zwei Jahre lang unterwegs, zwischen London und Australien. Was für großartige Geschichten erzählte er, jetzt Obersteuermann, schon vollbärtig, mit starken Augenbrauen und ernst blickenden, sehr offenen Augen, mir und John Galsworthy, der als Passagier damals mitfuhr, bei der Abendwache, von Schiffen und Stürmen, von der polnischen Revolution, vom Waffenschmuggel in seiner Jugend, von den malaiischen Seen, und vor allem und immer wieder von Menschen. Aber die Teile seines Romans, den er zu schreiben begann, in einer Sprache, die nicht seine Muttersprache, sondern die Sprache seines heimatfernen Berufes war, hat er für uns nicht aus seinem Pult geholt. Wie ein Fass kostbaren Madeiraweins hat er sein Manuskript drei lange Jahre auf den Meeren umhergefahren. Und doch: Es ging voran. Hatte nicht die Vorsehung sein Manuskript vor den Stromschnellen des Kongo bewahrt? Hatte nicht auch ein ehrlicher Gepäckträger, als er seinen Handkoffer im Restaurant des Bahnhofs Friedrichstraße in Berlin stehen ließ - das Manuskript Almayer lag darin - dem Vergesslichen diesen an den abfahrenden Zug nachgebracht? Wie einen Schatten trug der Kapitän der englischen Handelsmarine den Stoß beschriebenen Papiers mit sich herum, vollkommen absichtslos, aber der Schatten war von ihm nicht zu trennen, und er bekannte später, dass während jener drei Jahre kein Tag vergangen war, an dem er nicht an Almayer gedacht hätte.

Am 14. Januar 1894, nun 37-jährig, scheidet er endgültig aus dem Dienst, kehrt nach 17 Gillingham Street zurück und wird nie mehr ein Schiff in beruflicher Eigenschaft betreten. Und hier, wo er seit 1891 zwei Zimmer gemietet hatte, brachte Conrad sein erstes Werk Almayer's Folly zum Abschluss, noch immer ohne recht zu wissen, wie er dazu gekommen war. Tatsächlich dachte er noch nicht daran, auf die See zu verzichten. Tagtäglich lief er beharrlich zum Schifffahrtsbüro in die "Fenchurch Street", auf der Suche nach einem neuen Schiffskommando. Es waren jene Wintermonate 1894, als er seine endlosen Stadtwanderungen durch das nasskalte London unternahm, um eine neue Anstellung zu finden. Fast ohne alle finanziellen Mittel, Monate der äußersten Bedrängnis.

Ich besuche die Landhäuser, die er nach seiner Heirat mit Jessie Georges mietete. 1896: Stanford-le-Hope und Ivy-Walls, nahe der Themsemündung. Schwerlich hat jemals ein Dichter sich hartnäckiger dagegen gewehrt, ein Dichter zu sein; bisweilen schämt er sich geradezu dieser Lebensform, die ihm verdächtig scheint, zumal er für Geld schreiben muss. Selbst im Kongo-Abenteuer sah Conrad einer Wirklichkeit ins Auge, die ihm erlaubte, wenn auch in Einsamkeit, eine "friedliche Pfeife zu rauchen". Aber jetzt mit seinem "Gewissen allein und ausschließlich auf sich selbst angewiesen" zu sein? Ist das Sturz, ist das Aufstieg? Die Kunst, weder ein Spiel noch ein Weg zur Selbsterlösung, war für ihn nur ein Weg ins "Unbetretene, nicht zu Betretende". Er liebte die Kunst, wie er das Meer liebte: als das ewige Element einiger simpler, aber ungeheuer schwer zu erringender Wahrheiten. Aber der See konnte der Mensch die Ruhe des Gewissens abringen - mit der Kunst verhielt es sich anders.

Erbarmungslos, ohne Schonung

"Sie müssen", schreibt er einem entmutigten Kollegen, "sich gänzlich Ihrer eigenen Erregung überlassen. Sie müssen jede Empfindung, jeden Gedanken, jedes Bild aus Ihrem Inneren herauspressen - erbarmungslos, ohne Vorbehalt und ohne Schonung: Sie müssen die dunkelsten Winkel Ihres Herzens, die entlegensten Behälter Ihres Hirns durchsuchen - Sie müssen in ihnen nach der Bildkraft, dem Zauber, dem richtigen Ausdruck forschen. Und das müssen Sie aufrichtig tun, was es auch kosten mag; Sie müssen so verfahren, dass Sie am Ende Ihres Tagewerks sich ausgepumpt fühlen, leer von jeder Empfindung und jedem Gedanken, schmerzhaft leer in Geist und Gemüt, mit dem Gefühl, dass nichts - nichts mehr in Ihnen übrig gelassen ist."

Diese Forderungen waren rigoros, weil der ehemalige Seemann das Gefühl hatte, sich einem bodenlosen, unfassbaren Element anvertraut zu haben. Anstelle des Schiffes nun ein Haus. 1898: Pent Farm, wo seine großen Werke entstanden. 1905: Someries in Bedfordshire. 1909: Aldington, 1910: Capel House in Kent. Ich besuche die Häuser, alle nicht weit von London.

Dort überall sitzt der ehemalige Kapitän in seinem Arbeitszimmer, sehnt sich heimlich nach einer Kommandobrücke und ringt, von einem unsichtbaren und unhörbaren Sturm umgeben, um irgendetwas, woran er sich festhalten könnte. Was er jenem Entmutigten geschrieben hat, bewahrheitet sich an ihm selbst. Als er zehn Wochen braucht, um eine Erzählung von zwanzig Druckseiten fertigzubringen, meint er, dass dieser Zustand nichts anderes als Ruin bedeute. Er würde mit beiden Händen zugreifen, wenn irgendein Schiffseigner ihm ein Kommando anböte, und die schmeichelhafteste Kritik würde er darum geben, wenn er auf See sein könnte, "die Seele eines geduldig treuen Schiffs unter den Füßen und tausend Meilen von jedem Land entfernt". Er arbeitet - ja, aber seine Arbeit bestehe darin, Worte in ein Loch ohne Boden zu werfen, welches alle seine Worte aufsauge.

"Ich versichere Ihnen auf mein Ehrenwort und ganz nüchtern", schreibt er, "dass ich manchmal alle Entschlusskraft und Selbstbeherrschung brauche, um nicht mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen. Ich möchte heulen und schäumen - aber ich wage es nicht, aus Angst das Kind aufzuwecken und meine Frau zu erschrecken. Es ist kein Spaß ... So gehen die Tage hin, und nichts wird fertig." Aber die innere Krise klang langsam ab. Noch immer übte er schärfste, ja verzweifelte Kritik am eigenen Werk, auch am rasch geglückten Lord Jim. Dann jedoch begann er einen Roman buchstäblich damit, dass er eines Tages, im Januar oder Februar 1902, nichts als den Titel hinschrieb, den Namen Nostromo. In Nostromo zeigte sich zum ersten Male Conrads eigene Natur in ihren tiefsten Beziehungen zu Mitmensch, Zeit und Erde. Hier gelang ihm, Worte zu einer neuen Schöpfung zusammenzufügen.

Die Erlangung einer Könnerschaft, schreibt er, sei eine Lebensfrage, die weit über den Broterwerb hinausgehe: "ein höherer Punkt, in welchem unmerklich und unfehlbar, jenseits bloßer Geschicklichkeit, Hingebung und Stolz einander berühren; fast eine Erleuchtung, die allem Werk jene Vollendung gibt, die Kunst zu werden beginnt - die Kunst ist". Diese Klarheit erscheint mir wie ein Schild, den der Dichter Conrad dem Gespenst des bodenlosen Abgrunds, in dem die Worte hoffnungslos verschwinden, jetzt entgegenhalten kann.

Im Oktober 1919 zieht er in sein letztes Haus, Oswalds, in Bishopsbourne im Elham Valley. Hier ist er am 4. August 1924 einfach umgefallen: das Herz setzte aus. Im "Canterbury Heritage Museum" in der Stour Street finde ich persönliche Gegenstände von Conrad, einen arabischen Dolch von T. E. Lawrence, ein Geschenk, und lese die Zeilen an seinen zweiten Sohn, der von seinem Vater eine Widmung für ein Buch verlangte: "To dear John with his Father's love."

Dann wandere ich die St Dunstons Street zum katholischen Friedhof hinauf, etwa eine Meile vom Zentrum entfernt, und lese vor seinem Grab den letzten Absatz aus seinem Vorwort zu Der Nigger von der Narzissus, ein Werk, das Conrad ausnahmsweise uneingeschränkt liebte:

"Einen Atemzug lang die mit irdischem Tun beschäftigten Hände innehalten zu lassen und die vom Fernliegenden gefesselten Menschen zu nötigen, für einen Moment die Augen auf Form und Farbe, Sonnenschein und Schatten der Umwelt zu richten, sie verweilen zu machen für einen Blick, für einen Seufzer, für ein Lächeln - das ist das Ziel, schwierig, immer wieder schwindend und nur wenigen zu erreichen vergönnt. Doch zuweilen wird, dank Verdienst und Glück, selbst diese Aufgabe erfüllt. Und wenn sie erfüllt ist - siehe da, dann offenbart sich die ganze Wahrheit des Lebens: ein Augenblick der Vision, ein Seufzer, ein Lächeln - und die Rückkehr zur ewigen Ruhe." (Peter Maria Schuster /ALBUM/ DER STANDARD, Printausgabe, 1./2.12.2007)