Die britischen Medien sind außer sich: Von einem triumphalen Sieg gegen die USA ist die Rede. Hollywood sei endlich zur Vernunft gekommen. Harry Potter, der Zauberschüler aus Joanne K. Rowlings gefeierter Jugendbuchserie, bleibt Nationalheld. Daniel Radcliffe, ein 11-jähriger Junge aus Fulham, hat über 1000 Bewerber für den begehrten Titelpart in der Verfilmung von Harry Potter und der Stein der Weisen auf die Plätze verwiesen. Nicht wenige darunter waren US-Kinderstars, von denen jetzt schon jeder erwartet, dass sie demnächst in die Fußstapfen von Macaulay Culkin (Kevin allein zu Hause) treten und Probleme mit Größenwahn, gierigen Eltern und dem ganzen unschönen Rest des Entertainmentgeschäfts bekommen. Ganz Großbritannien und der Rest der großen Harry-Potter-Fangemeinde fragen sich jetzt also, wie Daniel Radcliffe mit der Belastung und Herausforderung dieser Rolle umgehen wird. Seine Eltern müssen sich zumindest den Vorwurf nicht gefallen lassen, sie hätten ihn nicht gewarnt: Der Künstleragent Alan Radcliffe und seine Frau Martha Gresham, beruflich für das Casting von TV- und Kinoproduktionen verantwortlich - sie waren angeblich keineswegs begeistert, als ihr Sohn bereits im Alter von fünf Jahren schauspielerische Ambitionen äußerte. Ein Engagement ihres Sohnes für die TV-Verfilmung von Charles Dickens' Oliver Twist konnten sie so noch verhindern. Die Übernahme der Hauptrolle in David Copperfield (1999) aber nicht mehr. Daniel setzte sich durch. Und bevor er als Harry Potter in den Kinos zu sehen ist, wird man ihn bereits an der Seite von Pierce Brosnan in John Boormans John-Le-Carré-Verfilmung Der Schneider von Panama erleben. Boorman, befragt auf die Belastbarkeit seines jungen Akteurs, meinte: "Wer Kinder castet, muss zuerst deren Eltern gleichsam mitbesetzen. Die Radcliffes sind nette Leute ohne jeden falschen Ehrgeiz, und ihr Sohn vermittelt den Eindruck, als würde er mit der Verantwortung, die auf ihm ruht, ganz gut umgehen." Warnungen Diese Verantwortung ist beträchtlich - sagt zumindest der ehemalige Kinderstar Jack Wild (Oliver!), der seinen jungen Kollegen jetzt schon warnt: "Ich selbst war vor meinem 17. Lebensjahr bereits Millionär, und dann begann die Hölle. Irgendwann einmal wird dir bewusst, dass auch die Jobs der anderen von dir abhängen, und du denkst, du hast jetzt Macht und Kontrolle, und das korrumpiert. Man zahlt einen sehr hohen Preis für den Ruhm." Daniel Radcliffe ist das derzeit wahrscheinlich noch nicht in der ganzen Tragweite bewusst. Derzeit freut er sich offenkundig über den Sieg für sich und für England und über das Lob von Regisseur Chris Columbus: "Als er hereinkam, wussten wir, ohne viele Worte zu verlieren: Endlich haben wir Harry Potter gefunden." ( Claus Philipp , D er S standard, 23.8. 2000)