"Das Gefühl der Identität überwiegt jenes der Varianz." Der launige Berliner Musiker Jens Friebe macht uns bezüglich Popkonzerten nichts vor.

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Beobachtungen eines Popmusikers und Autors ("52 Wochenenden") aus dem auch einmal tristen Alltag der Clubkultur.


Wien – "Schnee ist gefallen. Nun ist die Erde weiß, als wäre sie eine riesige, vereiterte Eichel, und überall stirbt die primitive alte Sau von Natur. Doch warte nur, schon bald wird sie erwachen und in ihrem neuen Kleid, grün wie Pennerkotze, angeschissen kommen.

Angespannt las ich in meinem Notizbuch, was ich tags zuvor geschrieben hatte. Das war stark, ohne Zweifel, verdammt gutes Zeug. Aber war es stark genug für meine große Aufgabe? Würde es reichen, mich als Pionier an die Spitze des Social Beat Revival 2007 zu setzen, das ich in allen Fibern meines seherischen Übersinns heraufkriechen spürte?"

Der 1975 als "höherer Sohn" im westfälischen Lüdenscheid geborene und heute die Techno und elektronisches Balla-Balla verweigernde Berliner Weltjugend von Kreuzberg aus mit Text-Laptop und Indierock-Schrammelgitarre regierende Journalist, Autor und vor allem Popmusiker Jens Friebe brachte mit seiner im Vorjahr im Internet entstandenen und heuer in Buchform erschienenen Kolumnensammlung "52 Wochenenden" (Verlag Kiepenheuer & Witsch) die Blog-Kultur auch schon wieder zu ihrem Höhepunkt. Gut, dass das erledigt ist. Alle anderen können mit Ausnahme von Rainald Goetz sofort damit aufhören. Bitte, danke.

Das thematisch nach unten offene Spektrum: das Leiden an der Banalität des Alltags. Die Versuchungen des Trivialen. Sex, Drugs & Rock 'n' Roll unter diskreter Ausblendung des Sex. Sprunghafte Assoziationen zwischen Club und Bar. Die deutsche Regietheaterdebatte. Brunchen mit Kleinkindern. Wireless-LAN-Lounges. Ungustiöse Horrorfilme oder Schnurrbärte. Und immer wieder: Filmriss und anschließende Hangovers im Tourbus oder in der am Wochenende allerhöchstens zur Ausnüchterung benutzten, selber schon genügend abgelebten Altbauwohnung.

Jens Friebe bringt dieses Jammertal des modernen Prekariats als Nacht- und Wochenendarbeiter in der Freizeitkultur dank eines milden und oft auch in bewusst altertümliches, behäbiges Wirtschaftswunderdeutsch gekleideten Zynismus allerdings hochkomisch auf den Punkt.

Die Arbeit der Nacht

Die schließlich immer auch auf sich selbst zurückgeleitete Häme, die sich hier regelmäßig über das private Lebensumfeld vermeintlicher "Bolschewisten einer informationstechnisch humanisierten Marktwirtschaft" ergießt, dieses genüssliche Wühlen in der doch recht eigentlich ziemlich öden Form einer grassierenden öffentlichen Tagebuchschreiberei namens Bloggen, wurde vom Autor dankenswerterweise zeitlich begrenzt.

52 Wochenenden lang verschont uns Friebe mit der täglichen Ausleuchtung seiner Befindlichkeiten. Er beschränkt sich streng auf die Sensatiönchen zwischen Freitag und Montag. Wo andere dabei einzig auf ihren Spaß aus sind, kombiniert Friebe die Arbeit der Nacht in nicht immer glamourösen Clubs, die dann auch einmal in Wien stehen, aber schon auch mit dem (Miss-)Vergnügen.

Friebe: "'Jedes Konzert ist ein bisschen anders', sagen die Bands im Fernsehen immer. Herbert Grönemeyer gab sogar mal an, es sei jedesmal 'wie ein Rendezvous mit einer Frau'. Wer sowas sagt, lügt zwar nicht direkt, verschweigt aber vieles, zum Beispiel, dass die Frau, mit der das Rendezvous ist wie ein Konzert, eine uralte blöde Bekannte sein kann und dass jedes Konzert auch ein bisschen gleich ist. Wenn man ganz ehrlich wäre, gäbe man sogar zu, dass etwa nach dem 25. Termin einer Tour das Gefühl der Identität das der Varianz überwiegt." So dementsprechend literarisch unterfüttert wollen wir am kommenden Wochenende das Schaffen Friebes einer strengen Überprüfung unterziehen.

Im Rahmen seiner Gastspielreise anlässlich des Erscheinens seines neuen, vom Titel her nicht ganz flutschenden Albums, "Das mit dem Auto ist egal Hauptsache Dir ist nichts passiert" (Vertrieb: Hoanzl), gastiert er nun am kommenden Sonntag in der Fluc-Wanne am Wiener Praterstern.

Charmante Schlager

Darauf zu hören: eckige und kantige, charmant ungelenke Schlager, in denen laut deutschen Pressestimmen nicht nur gegen den viel beschworenen Aufschwung angesungen wird. Die minimalistischen, verknappten Alltagsbeobachtungen von 52 Wochenenden finden auch Eingang in das Songwriting.

Friebe singt mit näselnder Stimme potenzielle Evergreens wie Du freust dich ja gar nicht oder Hass, Hass, Hass, vermeidet aber grundsätzlich "kämpferische Poesie". Wie meint er schließlich auch über das Theater: "'Das Schlechte soll schlecht bleiben, sonst wird es noch schlechter', hat Kafka eventuell mal gesagt, und das finde ich auch." (Christian Schachinger / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 6.12.2007)