Tapfer gebrüllt, aber dann doch nicht unverwechselbar genug: Der Eisbär Iorek Byrnison ist in Chris Weitz' Fantasy-Verfilmung "Der goldene Kompass" der flauschige Gefährte eines jungen Mädchens – jetzt bundesweit im Kino.

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Als eigenständiges Werk neben Harry Potter und Co. überzeugt er nur bedingt.

Wien – Der Eisbär, einst eine stolze Gattung, steht unter Druck. Hoch im Norden schwimmt ihm die Lebensgrundlage davon, in den gemäßigten Breiten vermitteln Jungstars wie das Berliner Knuddelmonster Knut ein ganz falsches Bild vom Bärenleben im Eis.

Auf der Seite des Fantastischen wiederum werden die Bären immer größer, sie dienen dort als Helden und Schurken, wie in den Büchern von Philip Pullman oder in der aktuellen Verfilmung Der goldene Kompass, in der ein Bär namens Iorek Byrnison eine tragende Rolle spielt. Er lebt als anonymer Alkoholiker in einer norwegischen Kleinstadt. Als eines Tages das Mädchen Lyra Belacqua (Dakota Blue Richards) vor der Tür steht, nimmt er sich jedoch zusammen, zieht eine Rüstung an und geht wieder nach Norden.

Das Zusammenspiel zwischen Mensch und Tier gehorcht eigenen Gesetzen im abgründigen Multiversum von Philip Pullman. Der englische Professor hat für die Trilogie His Dark Materials eine Welt erfunden, in der die Menschen ihre Seele nicht im Körper verstecken, sondern sie wie ein Haustier immer um sich haben. In der Sprache dieser Welt heißen diese Tiere "Dæmonen", der Dæmon von Lyra trägt zum Beispiel den Namen Pantalaimon, und weil Lyra noch nicht erwachsen ist, kann der Dæmon noch seine Gestalt wechseln.

Lyra ist schon aufgrund ihrer Abkunft die Heldin in diesem ersten Teil. Ihr Vater ist der Abenteurer Lord Asriel (Daniel Craig), ihre Mutter ist die sinistre Marisa Coulter (Nicole Kidman). Zu Beginn wird Lyra aus dem Internat genommen, in dem sie aufgewachsen ist. Gerade noch rechtzeitig bekommt sie das entscheidende Utensil zugesteckt: Ein goldener Kompass (Fachausdruck: Alethiometer, also ein "Wahrheitsmesser") erlaubt ihr tiefe Einblicke in die komplizierte Welt, in der sie lebt.

Geheimnisvoller Staub

Das zentrale Trauma in "Der goldene Kompass" sind die entführten Kinder. Sie werden an einen geheimen Ort gebracht, niemand weiß genau, was mit ihnen geschieht. Es hat aber auf jeden Fall mit "Staub" zu tun, mit der dunklen Materie, die das große Geheimnis in Philip Pullmans Welt ist. Staub ist hier viel mehr als nur Fusseln, es ist so etwas wie die "prima materia" inklusive Intellekt und Eros. Am Staub lässt sich gut ermessen, dass nicht nur der mythologische Ehrgeiz bei Philip Pullman stark ausgeprägt ist, sondern dass er auch ein interessantes doppeltes Spiel treibt – das Fantastische und das Naturwissenschaftliche sind hier aufeinander durchlässig, zwei Sprachspiele, die immer auf Bilder hinauslaufen.

Am Staub lässt sich aber auch gut ersehen, welche Schwierigkeiten Chris Weitz bei seiner Verfilmung mit diesem (literarischen) Stoff hat: Denn so überzeugend hier ein altes England mit vielen neugotischen Zinnen und Zacken heraufbeschworen wird, so undeutlich bleiben doch die metaphysischen Voraussetzungen. Erst in dem Moment, in dem Lyra sich ihrer Aufgabe bewusst wird und die Initiative übernimmt (in Begleitung des Panzerbären Iorek), stellt sich eine Ahnung von epischen Anforderungen ein.

Und episch soll die ganze Sache auf jeden Fall sein: Der goldene Kompass kommt aus demselben Unternehmen (New Line), das die Herr der Ringe-Trilogie verfilmt hat. Zwischen diesem Vorbild und dem allgegenwärtigen Harry Potter muss Chris Weitz (bekannt geworden mit American Pie) eine Nische für sein Produkt suchen, die eng genug ist, um unverwechselbar zu bleiben, und weit genug, um der auf mehreren Ebenen lesbaren Vorlage nicht zu viel Gewalt anzutun.

Das Ergebnis ist ein Film, der eher durch Vignetten des Fantastischen überzeugt als durch den langen Atem, auf den es in diesem Genre doch vor allem ankommt. Wenn Lyra auf ihrem treuen Iorek durch das ewige Eis reitet, dann ist sie (und der Film) ganz bei sich. Wenn Nicola Kidman aber umständlich erklärt, warum Kinder von ihren Dæmonen abgeschnitten werden müssen, dann klafft zwischen Vorlage und Film eine Lücke, die größer ist als der aufgerissene Rachen der nervösen Eisbären. (Bert Rebhandl / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7.12.2007)