Veit Heinichen, "Totentanz". € 20,50/320 Seiten. Zsolnay, Wien 2007.

Einen Triest-Artikel samt Bericht über einen Besuch bei Heinichen lesen Sie im Reiseteil des STANDARD.

Buchcover: Zsolnay
Im Rahmen eines Veit Heinichen gewidmeten Symposiums an der Universität Dortmund identifizierte die französische Germanistin Ute Lemke die Proteo-Laurenti-Romane des Triestiner Autors als Beispiele der sich herausbildenden Gattung des Europa-Krimis. Damit meint sie einen Romantyp, der thematisch und strukturell zentrale Problemstellungen des sich integrierenden EU-Europas sowie des postkommunistischen Bereichs anspricht, einen Krimi, der auf die neuen Realitäten des Kontinents reagiert und damit auch zur europäischen Identitätsfindung beiträgt.

Dass solche Romane kein Loblied auf Brüssel und die machthungrigen europäischen Eliten anstimmen würden, musste angesichts des traditionell hohen gesellschaftskritischen Potenzials von Krimis klar sein. In Veit Heinichens Proteo-Laurenti-Romanen artikuliert sich jedoch bereits seit einigen Jahren eine Euro-Kritik, die radikal und ungewöhnlich zugleich ist. Das Thema eines großflächigen Werkes des Triestiner Künstlers Serse, einer der vielen Figuren in diesem Roman, die ein außerliterarisches Äquivalent haben, könnte auch als Leitmotiv dienen: "Der Auflösungsprozess der europäischen Gesellschaft nach dem Zerfall der Ideologien."

Waren die bisherigen Romane, Nummer 1 und 2 mit Henry Hübchen in der Hauptrolle bereits fernsehverfilmt, auf einzelne Probleme wie Menschenschmuggel oder illegalen Organhandel fokussiert, so quillt Totentanz - hier im ALBUM schon einmal als Buchtipp empfohlen - über von kriminellen Handlungen, deren Existenz die Polizei oft nicht einmal erahnt. Von Industriespionage über illegales Baugewerbe, Schutzgelderpressung am illegalen Arbeiterstrich, Giftmülltransporte, Produktpiraterie und Geldfälschung bis hin zu Waffenschmuggel und Drogenhandel reicht die unvollständige Liste der Verbrechen, die im fünften Roman der Serie vertreten sind. Die Zeiten sind (noch) härter geworden: eine rechtsradikale Journalistin wird mit einem getrockneten Stockfisch fast erschlagen (sicherlich eine Premiere in der Weltkriminalgeschichte); Laurentis Frau Laura entgeht nur knapp einer Vergewaltigung; Pina Cardareto, Laurentis neue zwergengroße Assistentin, wird Opfer eines Stalkers, der sich in ihrem Müll zu schaffen macht; Laurenti selbst wird zunächst übel zugerichtet, dann bei der Weinlese mit einem High-Tech-Gewehr angeschossen und ist sogar eine Weile tot.

High Noon in Triest Im aktuellen Laurenti verwendet Heinichen verstärkt Methoden und Darstellungsformen des investigativen Journalismus. Seine umfangreichen, unorthodoxen Recherchen von politkriminellen Zusammenhängen fanden auch das Interesse der RAI, die seine Arbeitsweise in einer ausführlichen TV-Dokumentation würdigte. In Totentanz verdichtet Heinichen die Machenschaften der kriminellen Netzwerke in der fiktionalen Person Viktor Drakics, eines kroatischen Kriminellen mit vielen Verbindungen, der in der Zeit Tudjmans zu Einfluss gelangte und inzwischen ein Imperium leitet, das von Mitteleuropa bis China reicht und in dem auch Orte wie Klagenfurt und Frohnleiten genannt werden. Heinichen-Leser kennen Drakic schon seit Band 1 - seinem allumfassenden Machtstreben steht nur noch Erzgegner Proteo Laurenti im Weg, der als einziger die komplexen kriminellen Strukturen durchschaut und ihm gefährlich werden kann.

Der hohe didaktische Anspruch des Aufdeckungsromans beißt sich allerdings manchmal mit den ästhetischen Erwartungen an einen spannungsgeladenen Krimi. Weitreichende Aufklärung kann man sich nicht erwarten, einige Handlungsstränge laufen ins Leere; die postmoderne Realität hat im Kriminalroman auch ohne formale Experimente Einzug gehalten. Wer allerdings Europa selbst als Krimitext zu lesen bereit ist, kommt hier voll auf seine Kosten. Die neuen postkommunistischen Realitäten können nicht länger ignoriert werden, denn: "Wenn die Ränder ausfransen, dann ist auch bald das Zentrum betroffen." Die zunehmenden Missverständnisse zwischen dem früheren "Westen" und dem "neuen" Europa drücken sich denn auch im vorläufigen Ende der Affäre zwischen Laurenti und einer kroatischen Staatsanwältin aus, was der Handlung etwas von ihrer gewohnten erotischen Würze nimmt.

Veit Heinichens Triest-Krimis stoßen - insbesondere in Österreich - vor allem bei Lesern auf Begeisterung, die die sinnenfrohe Darstellung von Stadt, Meer und Karst schätzen. Tatsächlich gibt es auch in diesem Roman wieder reichhaltige Informationen über die Weine der Region und sogar ein komplettes Rezept für ein ganz und gar unorthodoxes Pesto aus der Küche der Meistergastronomin Ami Scabar, die neben ihrer Rolle als Romanfigur mit Veit Heinichen die sehr reale Gemeinsamkeit als Ko-Autorin eines kulturwissenschaftlichen Kochbuches teilt. Es besteht aber ein deutlicher Widerspruch zwischen der Schönheit von Stadt und Region, der attraktiven locker-aristokratischen Triestiner Lebensart und den kaum lösbaren Problemen dieses Laboratoriums Europas.

Symbol für die negative Atmosphäre und vielfältige Bedrohung ist nicht nur das schlechte Wetter des Triestiner Spätsommers 2005, dem Jahr "in dem die Deutschen einen Papst nach Rom schickten, um sich an den Italienern für Trapattoni zu rächen", wie es im ersten Satz des Romans heißt. Auch die Möven, die nun ihren Lebensunterhalt in der Stadt selbst suchen, werden zu Sinnbildern der verfehlten Entwicklung: "Das Meer als Nahrungsquelle ist zu anstrengend geworden. Überall in der Stadt finden sie schmackhaften Müll, den die Überflussgesellschaft zurücklässt. Selbst in Zeiten der Wirtschaftskrise."

All das wird die Liebhaber Triests jedoch auch an diesem Roman nicht stören. Für sie bietet Totentanz eine besondere Attraktion. Der High Noon zwischen Polizei (die inzwischen selbst zu Entführung und Lösegelderpressung als strategische Mittel greifen muss) und Verbrechen ereignet sich in der traditionsreichen "Tram d'Opicinia", der beliebten Standseilbahn der Stadt - für die zu erwartende Verfilmung wie geschaffen. Nach Abschluss des fünften Romans beobachtet man fasziniert, wie Heinichens Romane die triestinischen Mythen nicht nur verarbeiten, sondern auch nachhaltig verändern. (Walter Grünzweig /ALBUM/ DER STANDARD, Printausgabe, 15./16.12.2007)