Zur Person

Der gebürtige Tiroler Walter Würtl ist mit den Bergen aufgewachsen. Neben seiner Tätigkeit als Berg- und Skiführer ist er auch Bundeslawinenreferent der österreichischen Bergrettung. Die Aus- und Weiterbildung begeisterter Bergsteiger und Einsatzkräfte liegt dem 38-jährigen besonders am Herzen.

Zur Ansichtssache: Sanfte Schleifen im Schnee

Foto: Würtl
Schitourengehen erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Ein Frust, wer es auf eigene Faust versucht, ein Genuss, wenn man weiß wie es geht. Regina Philipp im Gespräch mit Walter Würtl, dem Bundeslawinenreferenten des österreichischen Bergrettungsdienstes.

derStandard.at: Schitourengehen wird zunehmend zum Trendsport. Was macht den Sport so reizvoll?

Würtl: Für viele Schitourengeher ist es das Naturerlebnis, das Erleben der winterlichen Berglandschaft abseits von den Massen. Dazu kommt das Bedürfnis sich körperlich anzustrengen und der besondere Reiz des Tiefschneefahrens. Schifahren im Tiefschnee ist zwar nicht ganz einfach, aber sehr spannend.

derStandard.at: Was unterscheidet den Tourengeher vom Variantenfahrer?

Würtl: Tourengeher gehen bergauf, Variantenfahrer fahren mit dem Lift hinauf und fahren dann im nicht gesicherten Schiraum im Tiefschnee hinunter. Dem Tourengeher ist der Lift egal.

derStandard.at Mittlerweile gibt es auch Schitourengeher auf planierten Pisten. Worin liegt hier der Reiz?

Würtl: Ich vermute Pistengeher würden eigentlich auch lieber in der freien Winterlandschaft gehen. Sie trauen sich aber nicht, weil sie sich im freien Gelände einfach nicht so gut auskennen. Die Vernunft spielt hier sicher eine große Rolle und natürlich die Freude an der Bewegung.

derStandard.at: Wie gut muss man Schifahren können, damit man sich auch trauen darf im freien Gelände eine Schitour zu gehen?

Würtl: Das hängt von der Schitour ab. Es gibt auch Schitouren im mäßig steilen Gelände. Da ist weniger Können als Mut gefragt. Mit einer modernen Ausrüstung kommen aber auch nicht so geübte Schifahrer und Schifahrerinnen genussvoll hinunter.

derStandard.at: Kann man es denn als blutiger Anfänger auch wagen ohne Bergführer eine Schitour zu machen?

Würtl: Das kann man natürlich, aber genussvoller und lustiger wird es sein, wenn man es mit jemandem macht, der auch Tipps geben kann. Es gibt Tricks und technische Aspekte, die das Schitourengehen erheblich erleichtern. Wenn man es auf eigene Faust probiert, dann kann es mitunter sehr frustrierend sein.

derStandard.at: Was sind das für Tricks?

Würtl: Vorausgesetzt man lässt sich von einem Profi eine gute Ausrüstung zusammenstellen, ist das richtige Anlegen der Felle ein wichtiger Punkt. Die Steigfelle dienen dazu, leichter den Berg hinaufzukommen. Allerdings sind sie nur bei der richtigen Gehtechnik auch wirklich nützlich. Die Schier müssen am Boden bleiben und gezogen werden. Anfänger neigen dazu, die Schier aufzuheben. In den Kurven wiederum braucht man eine spezielle Wendetechnik. Das ist nicht schwierig, aber wenn man es noch nie gesehen und probiert hat, dann kann es sehr anstrengend werden.

derStandard.at: Was ist mit Steighilfen?

Würtl: Tourenschibindungen besitzen eine Steighilfe. Das ist eine kleine Stufe, die verhindert, dass der Schi zur Gänze aufliegt. Das ist als würde man mit einem Stöckelschuh bergauf gehen, allerdings ist die Verwendung nur im steilen Gelände sinnvoll und nicht im flachen.

derStandard.at: Gibt es sonst noch Aspekte, die man beim Aufstieg beachten sollte?

Würtl: Ganz wichtig ist die richtige Spuranlage. Sie spricht für den Erfahrungsstand eines Schitourengehers. Man muss eine lawinensichere, aber auch komfortable Spur wählen. Anfänger neigen dazu Steilhänge frontal anzugehen. Das ist extrem anstrengend. Besitzt man etwas Erfahrung, dann legt man die Spur in sanften Schleifen nach oben.

derStandard.at: Wie viele Lawinenopfer hat Österreich 2006 unter den Tourengehern zu beklagen?

Würtl: 2006/2007 waren 198 Personen an Lawinenunfällen beteiligt. 91 davon waren im Tourenbereich unterwegs. Alle anderen waren Variantenfahrer. 67 davon wiederum Schifahrer und 29 Snowboarder.

derStandard.at: Ist die Lawinengefahr das größte Risiko für den Tourengeher?

Würtl: Ja, Lawinen stellen das größte Risiko dar, aber es gibt auch eine Reihe anderer Unfällen wie Stürze oder Abstürze. Stürze enden meist mit gebrochenen Gliedmaßen oder anderen Verletzungen. Lawinen enden sehr häufig tödlich. 56 Prozent aller Personen, die zur Gänze verschüttet wurden, also von denen außerhalb nichts mehr zu sehen ist, sterben in der Lawine.

derStandard.at: Warum verzichten so viele Tourengeher auf ein Verschüttetensuchgerät?

Würtl: Viele glauben, dass sie sich ohnehin nur dort aufhalten, wo keine Gefahr besteht. Klar, niemand geht bewusst Gefahr ein. Das eigene Urteilsvermögen wird dabei aber oft überschätzt, für viele aber Grund auf die Notfallausrüstung komplett zu verzichten.

derStandard.at: Was gehört zur Notfallausrüstung?

Würtl: Das LVS-Gerät (Lawinenverschüttetensuchgerät), eine Schaufel und eine Sonde. Die drei Sachen gehören untrennbar zusammen.

derStandard.at: Braucht man die auch als Anfänger bei einer leichten Schitour?

Würtl: Unbedingt. Nur auf einer Pistentour braucht man keine Notfallausrüstung. Sobald man sich draußen im freien Gelände aufhält, muss man unbedingt ein LVS-Gerät dabei haben. Es ist schwer Verschüttete nur mit Hilfe der Sonde zu finden. Das ist wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Das endet leider oft tödlich.

derStandard.at: Ersetzt das LVS-Gerät eine Lawinenausbildung?

Würtl: Nein, denn das LVS-Gerät hilft zwar Verschüttete zu orten, aber nichts kann die Prävention ersetzen. Es gibt ganz einfache Verhaltensmaßnahmen die hilfreich sind, damit man nicht in eine Lawine gerät. Wie gesagt, von allen Verschütteten versterben circa 56 Prozent, da sind auch die mit den LVS-Geräten inkludiert. Lawinen sind immer tödliche Ereignisse und hochgradig mit Lebensgefahr verbunden.

derStandard.at: Was sind das für Verhaltensmaßnahmen?

Würtl: In ganz Österreich gibt es Lawinenlageberichte. Der Lawinenwarndienst stuft die Lawinengefahr zwischen eins und fünf ab. Eins heißt die Lawinengefahr ist gering, fünf bedeutet große Gefahr. Letzeres ist, ausgenommen von Galtür, eher selten. Meist liegt die Lawinenwarnstufe auf zwei oder drei. Die Regel dazu ist ganz einfach: Bei Stufe vier bleibt man auf Hängen unter 30 Grad Neigungswinkel, bei Stufe drei auf Hängen unter 35 Grad und bei Stufe zwei auf Hängen unter 40 Grad. Je höher also die Gefahrenstufe, desto flacher fährt man am besten.

derStandard.at: Wie weiß man denn, um wie viel Grad ein Hang geneigt ist?

Würtl: Mit etwas Übung ist das leicht erlernbar und es ließen sich 80 Prozent aller Lawinenunfälle vermeiden.

derStandard.at: Sind Gletscherspalten für den Tourengeher ein Risiko?

Würtl: Derzeit ist die Gefahr eines tödlichen Spaltensturzes besonders hoch, aber immer noch klein im Vergleich zu Lawinenunfällen. Wir hatten einen sehr warmen Sommer mit wenigen Niederschlägen im letzten Winter. Das bedeutet, viele Gletscherspalten sind offen und sind auch sehr groß. Wenn der erste Schnee verbunden mit Wind kommt, dann werden Gletscherspalten von einer wenig tragfähigen Schneedecke zugeweht.

derStandard.at: Anseilen ist keine Lösung?

Würtl: Es gibt da den Spruch: Wo das Seilfahren anfängt, hört das Schifahren auf. Beim Hinaufgehen ist Anseilen denkbar, aber ein genussvolles Hinunterfahren gelingt angeseilt niemandem.

derStandard.at: Alles in allem passiert aber doch wenig, wenn man bedenkt, was man als Tourengeher alles wissen sollte?

<><> Das stimmt, entscheidend ist, dass man lernt im Vorfeld zu beurteilen, ob die Wetterlage und die Schneeverhältnisse eine Schitour an diesem Tag überhaupt erlauben. Der Österreichische Alpenverein hat dazu die Stop for Go Strategie erfunden, die diese Entscheidung erleichtern soll.

derStandard.at: Was besagt diese Stop for Go Regel genau?

Würtl: Diese Methode gliedert sich in zwei Aspekte. Als Standardmaßnahmen werden verschiedene Verhaltensregeln empfohlen, die der Planung dienen. Dazu gehört: Informationen über die Lawinenlage, Wetter und Auf- bzw. Abstiegsmöglichkeiten einholen. Die Gruppengröße sollte man nicht zu groß gewählt werden und die Notfallausrüstung muss vollständig und funktionstüchtig sein.

Der zweite Aspekt dient der strategischen Entscheidungsfindung mit Hilfe kleiner Kärtchen. Lawinenwarnstufen und der Neigungsgrad im Gelände sind hier Kriterien und zusätzlich checkt man die Warnzeichen im Gelände. Warnzeichen sind Neuschnee, frische Lawinen oder Risse in der Schneedecke. Das klingt trivial, aber die Kärtchen entscheiden schlussendlich darüber ob eine Schitour Sinn macht oder nicht.

derStandard.at: Warum hat man den Begriff ‚Alpine Sicherhei’ durch Risikomanagement ersetzt?

Würtl: Am Berg kann es keine 100prozentige Sicherheit geben. Es bleibt immer ein mehr oder minder großes Risiko.

derStandard.at: Wo bleibt da noch der Genuss?

Würtl Völlig den Maßstab zu verlieren wäre übertrieben. Natürlich gibt es Lawinen und andere Gefahren, aber in erster Linie ist Schitourengehen mit Spaß und Bewegung verbunden. Außerdem liefert es noch einen nachhaltigen Beitrag für die Gesundheit. (derStandard.at, 19.12.2007)

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