Arbeiterkammer-Präsident Herbert Tumpel will die nächste Steuerreform von 2010 auf 2009 vorziehen.

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Im Gespräch mit Günther Oswald lehnt Tumpel weiters Verschärfungen bei der Invaliditätspension ab und kann sich gesetzliche Medikamentenrabatte vorstellen.

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STANDARD: Herr Tumpel, Sie werden bald 60. 2009 finden die nächsten Arbeiterkammer-Wahlen statt. Werden Sie noch einmal kandidieren?

Tumpel: Ich bin dazu bereit und ich freue mich darauf, aber es gibt noch die Beschlussfassung über die Kandidatenliste.

STANDARD: Im Vorjahr waren Sie durch die Turbulenzen um die Bawag, bei der Sie zwischen 1987 und 1997 Aufsichtsratschef waren, oft negativ in den Schlagzeilen. Es gab schon Spekulationen über Ihren Nachfolger. Haben Sie jemals daran gedacht, alles hinzuschmeißen?

Tumpel: Nein das habe ich nicht. Ich habe selbstverständlich gefragt, ob ich das Vertrauen habe. Und in der Arbeiterkammer wurde mir das Vertrauen ausgesprochen.

STANDARD: Heuer werden die Inhalte der nächsten Steuerreform diskutiert. Welche Forderungen hat die AK?

Tumpel: Ich halte aus vielerlei Gründen eine grundsätzliche Strukturreform für notwendig. Es zeigt sich, dass eine stetige Verschiebung zu den Lohn- und Massensteuern stattfindet. Und die Besteuerung der Unternehmensgewinne und der Kapitalerträge bleibt zurück. Das zweite: Es ist entscheidend, dass die unteren und vor allem die mittleren Einkommen bei der nächsten Steuerreform maßgeblich entlastet werden. Es zeigt sich, dass bei der sogenannten größten Steuerreform aller Zeiten im Jahr 2005 vor allem im Lohnsteuerbereich die Entlastungswirkung ungenügend war. Bei Einkommen von 1800 bis 2300 Euro hatten wir eine Entlastung von unter 20 Euro. Und die kalte Progression (Anstieg der realen Steuerlast, Anm.) hat diese Steuerreform schon aufgefressen.

STANDARD: Sozialminister Erwin Buchinger will die Negativsteuer erhöhen.

Tumpel: Das war auch immer unsere Forderung, dass es für die Menschen, die keine Lohnsteuer zahlen, weil ihr Einkommen so niedrig ist, auch zu einer Entlastung kommen muss. Die Begründung: Die Einkommen stiegen in den letzten Jahren im Schnitt um nicht einmal drei Prozent. Die Preissteigerungen liegen aber bei Haushaltsenergie bei 13 Prozent, bei Treibstoffen bei 20 Prozent, bei den Lebensmitteln bei sieben Prozent. Hier muss es zu einem neuen Ausgleich kommen. Das erfordert die soziale Gerechtigkeit. Für all diese Bereiche werden wir daher Vorschläge machen, wie man dämpfend einwirken kann.

STANDARD: Ein Beispiel bitte.

Tumpel: Ein exorbitanter Preistreiber ist zum Beispiel der Zwang zur Beimischung von Biosprit zu Benzin und Diesel. Das sollte man sich grundsätzlich überlegen.

STANDARD: Die Regierung plant die Steuerreform für 2010. Steht das außer Streit?

Tumpel: Ich bin für den frühestmöglichen Zeitpunkt. Die Belastungen sind jetzt da, die kalte Progression hat schon Ende 2007 zugeschlagen. Die Problematik verschärft sich nur.

STANDARD: Also Steuerreform schon 2009?

Tumpel: Es spricht vieles dafür.

STANDARD: Im Zusammenhang mit der Steuerreform wird auch die Sanierung der Krankenkassen diskutiert. Ihr Vorschlag?

Tumpel: Hätte man vor 25 Jahre kostenneutral auf die Wertschöpfungsabgabe umgestellt, hätten wir heute keine Diskussion über die Finanzierung der Kassen. Warum? Es zeigt sich, dass die Lohnsumme systematisch hinter den Gewinnen geblieben ist. Natürlich sind die Krankenkassen verpflichtet, so sparsam und effizient wie möglich zu arbeiten. Aber eines ist sicher: Der medizinisch-technische Fortschritt kostet etwas. Und selbst bei durchschnittlichen Kostensteigerungen bleibt die Entwicklung der Lohnsumme hinten nach. Insofern ist das genau ein Gebiet, wo eine neue Struktur in Form einer erweiterten Bemessungsbasis notwendig wäre.

STANDARD: Ist das Ihr einziger Ansatz?

Tumpel: Das Zweite ist: Wir hatten 2007 trotz einer besseren Entwicklung am Arbeitsmarkt 50.000 Arbeitssuchende mehr als 2000. Für die Krankenkassen heißt das 100 Millionen Euro weniger Einnahmen pro Jahr. Das zeigt, wie wichtig aktive Beschäftigungspolitik ist.

STANDARD: Braucht es auch kurzfristige Maßnahmen?

Tumpel: Natürlich braucht es die. Ein ganz großer Ausgabenblock sind die Medikamente. Hier gilt es, die Dynamik bei den Kostensteigerungen einzubremsen. Die Kassen brauchen aber die Rückendeckung der Regierung. Nur am Verhandlungsweg sind keine großen Erfolge zu erzielen.

STANDARD: Sind gesetzlich vorgeschriebene Rabatte denkbar?

Tumpel: Ja, es gibt eine Vielzahl von Handlungsmöglichkeiten. Die gilt es auszuloten. Ich hoffe nicht, dass das notwendig ist. Aber zumindest muss die Regierung signalisieren: Wenn es bei der Pharmaindustrie zu wenig Gesprächsbereitschaft auf freiwilliger Basis gibt, greift man zu einer Änderung der Gesetze.

STANDARD: Nicht nur die Krankenkassen haben ein Minus, auch die Arbeitslosenversicherung. Wie soll darauf reagiert werden?

Tumpel: Mit entsprechender Beschäftigungspolitik. Wir brauchen das Jugendausbildungspaket und das Beschäftigungspaket für arbeitslose Frauen und Männer, um genügend Facharbeiter für die Zukunft zu haben.

STANDARD: Die Invaliditätspension soll 2008 reformiert werden: Laut einer AK-Studie sinkt die Zahl der Invaliditätspensionen entgegen bisheriger Annahmen seit 2000: Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?

Tumpel: Eine der wichtigsten Maßnahmen ist, dass wir nicht erst dann reagieren, wenn die Menschen arbeitsunfähig sind, sondern dass krankmachende Faktoren frühzeitig erkannt und Gegenmaßnahmen gesetzt werden.

STANDARD: Experten sagen aber, dass man den Zugang zur Invaliditätspension erschweren muss, weil wir im internationalen Vergleich zu viele Invaliditätspensionisten hätten.

Tumpel: Das ist genau der falsche Weg. Das ist das Herumdoktern am schlechten Ende. Wenn die Menschen nicht mehr arbeitsfähig sind, kann man ihnen nicht sagen, ihr müsst euch eine andere Arbeit suchen, die es in Wirklichkeit am Arbeitsmarkt nicht gibt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 5./6.1.2008)