Die Orang Asli wurden vom Staat zwangsbeglückt.
Foto: Center for Orang Asli Concerns

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Sie müssen ihre Kinder in die Schule schicken und werden von Ärzten heimgesucht.
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Ein Meer aus Stämmen, Ästen, Blättern und Lianen.

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Die Vorhänge sind zu. Es ist finster. Zumindest in dem kleinen Bungalow. Und es riecht nicht gut. Vom Sungai Tembeling, dem Fluss, an dessen Abhang der kleine Bungalow steht, dringen die Motorengeräusche der vorbeifahrenden Kähne herauf, und der Muezzin in der Ortschaft auf der anderen Flussseite hat bereits zum Gebet gerufen. Es ist die Stunde zwischen sechs und sieben, die einzige, wie auch die nächsten Tage zeigen werden, in der die Tropenwärme im Nationalpark ein wenig nachlässt, so als atmete der Tag noch schnell durch, bevor er sich heiß und feucht wieder über alles legt.

Und doch reicht es, dass die Schwüle der Nacht im Aufwachen als kühler Schweiß am Körper klebt. Verglichen aber mit dem Schwall an Geräuschen, mit dem einen der Urwald am Vorabend gleich bei der ersten Begegnung, dem sogenannten Nightwalk, überwältigte, ist es im noblen Hotelresort am Rand des größten Nationalparks Malaysias jetzt trotz der Motorkähne still, so still, dass einen etwa die Erinnerung an die nach Kreissägenblättern im Leerlauf klingenden Zikaden oder das elektrisch durchpulste Schaben der balzenden Heuschrecken zu trügen scheint.

Genauso wie die Tatsache, dass man in der vergangenen Nacht tatsächlich im Taman Negara (heißt auf Malaysisch so viel wie Nationalpark) gewesen ist, dem mit 130 Millionen Jahren ältesten Waldgebiet der Welt. Guide Ahlong voran, mit der Taschenlampe in ein tiefdunkles Meer aus Stämmen, Ästen, Blättern und Lianen leuchtend, an dessen Grund man sich auch im schützenden Lichtschein in manchen Augenblicken wie Jonas im Wal fühlte.

Während Ahlongs Augen, so als funktionierte ihr Schauen in der Finsternis auch als eine Art des Ahnens, den Strahl der Lampe immer wieder an die richtigen Stellen dirigierten: da auf die silbrig glänzend von einem Blatt hängende Spinne oder dort auf die von einem Ast zum nächsten sich windende Schlange.

Ganz ruhig stand man da, als Ahlong erklärte, wie blind diese Spinne etwa sei, nur auf Erschütterungen reagieren könne, und wusste angesichts deren tödlichen Gifts, wie existenziell sein Rat gleich am Beginn des Nightwalks gewesen war, vorsichtig aufzutreten. Aber auch wie leicht es geschehen hätte können, dass man ohne ihn das in Schulterhöhe in den Pfad ragende Blatt mit der Spinne einfach nur achtlos aus dem Weg geschoben hätte, und musterte dann, trotz allen nachträglichen Schreckens, das wie feingliedriger Schmuck funkelnde Tier - von der Schönheit der Spinne genauso gebannt wie von ihrer Gefahr.

Das Handy am Nachtkästchen brummt. Eine Guten-Morgen-SMS von zu Hause, wo es jetzt, auf der anderen Seite der Welt, kurz vor Mitternacht ist. Zumindest augenblicksweise lenken einen die Buchstaben der Freundin von der Frage ab, wo gestern letztlich die Angst geblieben war. Während man doch selbst hier im Bungalow ein Unbehagen nicht abschütteln kann, das nicht mit der Feuchtigkeit in Leintuch und Bettdecke zu tun hat, sondern vielmehr mit dem Spalt unter der Terrassentür, der in jedem Fall groß genug für Schlangen und Spinnen ist.

Und hatte nicht Ahlong gesagt, man solle die Fenster und Türen des Bungalows auf keinen Fall offen lassen, auch untertags nicht, ohne ständig ein Auge darauf zu haben? Unterdessen brummt das Handy erneut. Und am Display die Frage "Hast du schon Spinnen gesehen?"

Kaum eineinhalb Stunden später liegt das Hotelresort bereits wieder hinter uns, es ist ziemlich warm, doch noch nicht drückend. Ahlong ist stehen geblieben, deutet auf die Dornen des Rattan und erklärt, die Einheimischen würden die Peddigrohrpalme Minutenbaum nennen, da sie einen, wenn man sich an ihr verfange, mindestens so lange aufhalte. Gleich darauf ist er im leichten Rhythmus seiner Schritte schon wieder weiter, als hätte er sein Gehen gar nicht unterbrochen.

Bukit Teresek, so heißt das Ziel, die größte Anhöhe im näheren Umkreis, deren Aussicht auf die rollende Hügellandschaft Taman Negaras hoffentlich dafür entschädigen wird, dass während dieses Aufenthalts keine Zeit für jenen siebentägigen Marsch zum Gunung Tahan bleiben wird, dem mit 2187 Metern höchsten Berg der Malaiischen Halbinsel (während sich der höchste Berg Malaysias, der 4095 Meter hohe Kinabalu, auf Borneo befindet).

Es geht bergauf und mit einem Schlag ist die Schwüle da. Hemd, Hose sind wie zum Auswringen, und es ist beruhigend, auch an Ahlongs Nacken Schweißtropfen zu sehen. Dass man sich dabei längst wieder in einem Gebiet befindet, vor dessen Tierwelt man im Zoo nicht grundlos durch Gitter, Wassergräben oder Glaswände geschützt ist, ruft jedoch erneut keine größeren Ängste hervor.

Stattdessen spürt man den Ehrgeiz, als Alpenlandbewohner doch einen mindestens ebenso sicheren Tritt wie Ahlong haben zu müssen. Was, gemessen an den Ausrutschern über Wurzelwerk und Gatsch, auch tatsächlich so sein mag. Nur benötigt das größte Konzentration auf die jeweils vor einem liegenden Meter des Pfades, während Ahlong, den Blick überall anders, seine Schritte in so beiläufiger Sicherheit setzt, als besäßen seine Füße eigene Gehaugen.

Natürlich hätte der Besucher deshalb auch jene Bresche im Geäst übersehen, an der Ahlong kurz darauf stoppt. Ob ich mir die vor ein paar Wochen erst verlassene Nomaden-Siedlung dort auf der Lichtung ansehen wolle? Ich nicke zustimmend, mache jedoch keinerlei Spur einer Siedlung aus. Erst als wir schon neben den Behausungsresten aus Bambus und Flechtwerk stehen, kann auch ich sie nicht mehr übersehen.

Unterdessen erzählt Ahlong von den täglichen Routinen der Orang Asli (Orang heißt auf Malaysisch "Mensch"; "Asli" bedeutet "zuerst", "ursprünglich"), die mit ihren Blasrohren immer nur Jagd auf die gerade für den Tag notwendige Beute machten. Eine Zeit lang seien sie vom Staat zwangsbeglückt worden, indem die Kinder in die Schule gehen mussten oder von Gestalten in bald sehr gefürchteten weißen Arzt- und Krankenpflegerkitteln heimgesucht wurden. So weit wie etwa in Australien, wo den Aborigines die Kinder zur effizienteren westlichen Sozialisation überhaupt weggenommen worden waren, sei es in Malaysia jedoch nie gekommen.

Und tatsächlich gelten für die nomadischen Ureinwohner Malaysias nicht nur umfangreiche Minderheitenrechte, sondern wird seit einiger Zeit auch eine Politik verfolgt, ihre Lebensgewohnheiten und -räume zu respektieren. Ein Status, dessen Erlangung jedoch nicht zuletzt ein in der Landesgeschichte begründetes Gegengeschäft ist, hat doch erst der Frontwechsel der Orang Asli jene als "Emergency" (1948-60) bezeichneten Jahre des vor allem in den Regenwäldern ausgetragenen Kriegs gegen die kommunistischen Rebellen entschieden.

Es spricht eine stille und zurückhaltende Bewunderung aus Ahlong, während er so von den verschiedenen Nomaden-Gemeinschaften im Taman Negara erzählt. Von den "semi-modernists", die oft nur unweit des Nationalpark-Eingangs siedelten und dabei längst auch Materialien und Hilfsmittel benutzten, die nicht aus dem Regenwald stammten, wie Kleidung, Zeltplanen, Nahrungsmittel oder Geschirr. Oder von jenen, die weiterhin zurückgezogen in unzugänglichen Gebieten des Urwalds lebten.

Mit Ahlong, so viel wird klar, während wir das letzte Wegstück zum Bukit Teresek zurücklegen, würde auch der im Reiseprogramm vorgesehene Besuch einer unweit des Hotelresorts gelegenen Orang-Asli-Gemeinschaft nicht zu etwas Entwürdigendem werden. Und so sollte sich am nächsten Tag in diesem anfänglich am liebsten gestrichenen Programmteil auch noch herausstellen, dass Ahlong, den sein Vater schon als zweijährigen Buben in den Urwald und zu den Nomaden mitgenommen hatte, sogar eine der Orang-Asli-Sprachen beherrschte. Noch aber standen wir auf der Anhöhe des Bukit Teresek und blickten auf die welligen Weiten des Urwalds, in denen Waldelefanten, Panther, Tiger, Tapire und Nashörner wohnten, während ich mich fragte, ob ich womöglich die ersten Grundbegriffe einer Sprache kennen lernte, in der Eindrücke und Erfahrungen, Gerüche und Geräusche, Sichtbares und Unsichtbares weit deutlichere Fragen stellten oder Antworten gaben, als die Sätze und Wörter jeder darüber geschriebenen Geschichte. (Martin Prinz/DER STANDARD/RONDO/11.1.2008)