Wien – Es war bereits 21.03 Uhr und das Sitzfleisch der Abgeordneten entsprechend strapaziert. Trotzdem: Die Novelle zur Gewerbeordnung wollte an jenem 4. Dezember des Vorjahres noch beschlossen werden. Mit weitreichenden Konsequenzen, wie sich jetzt herausstellt.

Bundespräsident Heinz Fischer verweigerte dem Gesetz nämlich die Unterschrift. Ein in der Geschichte der Zweiten Republik einmaliger Vorgang. Fischer begründet sein Handeln mit dem verfassungswidrigen Zustandekommen des Gesetzes. Eine Ansicht, die auch Verfassungsgerichtshofpräsident Karl Korinek teilt. Für ihn ist es "erfreulich", dass Fischer seine Kompetenzen wahrnimmt und ein "evident verfassungswidriges" Gesetz zurückschickt.

Konkret beanstandet wurde die in der Novelle enthaltene rückwirkende Strafbestimmung, die gemäß Artikel 7 der Europäischen Menschenrechtskonvention ausdrücklich verboten ist. Dabei wäre die Diskrepanz zwischen Beschlussfassung, Veröffentlichung und Inkrafttreten der Sanktionsmöglichkeiten des Gesetzes schon früher erkennbar gewesen: Für 19. oder 20. Dezember sollte die Materie erst auf der Tagesordnung des Bundesrates stehen, mit 15. Dezember allerdings bereits die Strafbestimmung in Kraft treten.

"Schlamperei"

Für Ludwig Adamovich, Fischers Berater in Verfassungsfragen, eine "Schlamperei", die in der Hektik der eiligen Gesetzesbeschlüsse im Dezember entstanden sei.

Im Wirtschaftsministerium beruft man sich hingegen darauf, dass eine mögliche Fristübertretung bei der Beschlussfassung im Ministerrat im Oktober noch nicht absehbar gewesen sei. Eine Strafaussetzung bei Beurkundung wurde dem Präsidenten angeboten, dieser hatte aber nicht angenommen. Adamovich begründet das so: "Das wäre gegen das Legalitätsprinzip gewesen."

Verfassungsrechtler widersprechen sich

Für Verfassungsrechtler Heinz Mayer ist Fischers Vorgangsweise hingegen "nicht zulässig". Entgegen der heutigen Lehrmeinung vertritt Mayer nämlich die Auffassung, dass der Präsident nur darauf achten müssen, ob der parlamentarische Ablauf verfassungsgemäß erfolgt sei. Sprich: "Er hätte unterschreiben müssen."

Der Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk widerspricht seinem Kollegen Heinz Mayer. Funk sagte gegenüber der APA, "meiner Einschätzung nach ist hier die Unterschrift zu Recht verweigert worden. Weil hier die Verfassungswidrigkeit evident ist".

In einer ähnlichen Situation wie Fischer war 1999 übrigens der damalige Präsident Thomas Klestil: Auch das Blutsicherheitsgesetz beinhaltete rückwirkende Strafsanktionen. Bloß: Klestil unterschrieb letztlich mit dem Verweis, er gehe davon aus, dass diese bis zur Aufhebung durch den VfGH nicht angewandt werden.

Im aktuellen Fall will die ÖVP die bereinigte Gesetzesversion am Mittwoch mittels Initiativantrag ins Parlament bringen. Womit die ebenfalls aufgehobenen verschärften Maßnahmen gegen das Komatrinken, sowie die Richtlinie zur Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung rund zwei Monate später als geplant in Kraft treten.

Spindlegger: "Veränderung der Handhabung seiner Kompetenzen"

Der Zweite Nationalratspräsident Michael Spindelegger ist nicht sehr erfreut darüber, dass Bundespräsident Heinz Fischer sich geweigert hat, ein von Nationalrat und Bundesrat abgesegnetes Gesetz zu unterzeichnen. Er schließe sich der Meinung von Verfassungsrechtler Heinz Mayer an, der von einer Änderung der Staatspraxis gesprochen habe. "Ich möchte festhalten als Zweiter Nationalratspräsident, dass das nicht Auslöser für eine neue Gangart des Bundespräsidenten wird", sagte Spindelegger im Gespräch mit der APA. Dies wäre "schädlich insgesamt", weil der Bundespräsident in seiner bisherigen Amtsführung repräsentativ war und "nicht operativ Dinge in die Hand" genommen habe.

Spindelegger erklärte gegenüber der APA, es handle sich beim Vorgehen von Fischer schon um "mehr als nur ein kleines Tagesereignis. So etwas kennen wir ja bisher in der Art und Weise von der Handhabung durch Bundespräsidenten nicht". Auf die Frage, ob er nun auf den zweiten Fall einer Nichtunterzeichnung eines Gesetzes warte, sagte der ÖVP-Politiker, es stelle sich die Frage, ob das Staatsoberhaupt "bewirken will, ob er ein Gesetz wirklich inhaltlich prüft. Das wäre eine völlige Veränderung des Verhaltens des Bundespräsidenten im Rahmen seiner Beurkundung beschlossener Gesetze. Das wäre schon auch eine Veränderung der Handhabung seiner Kompetenzen".

Grüne: "In Ordnung"

Die Dritte Nationalratspräsidentin Eva Glawischnig findet es "absolut in Ordnung", dass Bundespräsident Heinz Fischer sich geweigert hat, das von Nationalrat und Bundesrat abgesegnetes Gesetz zu unterzeichnen. Es sei "offenbar notwendig gewesen, der koalitionären Parlamentsmehrheit einen Schlag auf die Finger zu geben".

Immerhin, so Glawischnig gegenüber der APA, hätten sich SPÖ und ÖVP "im Dezember-Plenum einiges geleistet". Ob es weitere Fälle einer Nichtunterzeichnung durch den Bundespräsidenten geben wird, "hängt von der Schlampigkeit der Koalition im Plenum ab. Es ist wichtig, dass sich das nicht mehr wiederholt". Fischer habe ein Zeichen einer "demokratiepolitischen Hygiene" gesetzt und gezeigt, dass sich die Koalition nicht über alles hinwegsetzen könne, schon gar nicht über die Verfassung.

FPÖ: "Peinlichkeit für die Regierung"

Der FPÖ-Abgeordnete Wolfgang Zanger bezeichnete die Nichtbeurkundung der Novelle zur Gewerbeordnung durch Fischer als "hochgradige Peinlichkeit für die Regierung". Ein Zeichen für die Unfähigkeit der Großen Koalition sei auch die Tatsache, dass die "Verfassungswidrigkeit bereits während des Gesetzgebungsverfahrens offensichtlich war. Dies bestätigt einmal mehr den schlampigen Umgang der Großen Koalition mit der Verfassung", so Zanger in einer Aussendung. "Noch dazu handelte es sich um eine Novelle, welche von der Regierung als überaus bedeutend dargestellt wurde, und dann handelt man derartig inkompetent. Die FPÖ spricht sich weiterhin gegen die Novelle aus, unter anderem aufgrund der die Grundrechte gefährdenden Bestimmungen zur Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung", meinte der FPÖ-Abgeordnete.

BZÖ: "Ohrfeige"

Als "schallende Ohrfeige" für die Koalition hat BZÖ-Generalsekretär Gerald Grosz die Nichtunterzeichnung der Novelle der Gewerbeordnung durch Bundespräsident Heinz Fischer bezeichnet. Dies zeige, dass "Österreicher von der unfähigsten und dümmsten Bundesregierung aller Zeiten regiert werden", meinte er in einer Aussendung. Angesichts dieser Unfähigkeit müsste die gesamte Regierung wegen Unvermögens sofort abtreten. (APA, Karin Moser/DER STANDARD, Printausgabe, 16.1.2008)