Sylvia Brunner, FEMtech-Expertin des Monats und Entwicklungsleiterin der Firma Affiris für einen Impfstoff gegen Gefäßverkalkung: In etwa sieben Jahren, hofft die Biologin, könnte der neue Impfstoff die Marktreife erlangt haben.

Foto: STANDARD/Cremer
Die Molekularbiologin Sylvia Brunner entwickelt für die Wiener Biotech-Firma Affiris einen Impfstoff gegen Arterienverkalkung. Wie das geht, was das bringt und wie viel die Spritzen einbringen können, verriet die FEMtech-Expertin dieses Monats im Gespräch mit Andreas Feiertag.

*****

STANDARD: Sie arbeiten für die Wiener Biotech-Firma Affiris an der Entwicklung eines Impfstoffs gegen Arterienverkalkung. Meistens verbindet man mit einer Impfung einen Schutz vor Viren, nicht aber einen Schutz vor körpereigenen Stoffen. Wie muss man sich diese Prävention vorstellen?

Brunner: Arterienverkalkung, Atherosklerose, ist zu einem großen Teil ein Problem des Fettstoffwechsels. Es gibt das gute Cholesterin, das HDL, und das schlechte Cholesterin, das LDL. Das HDL soll hoch sein, vom LDL soll man nur wenig haben. Über den Lebensstil kann man beide Werte positiv beeinflussen; nicht nur über das Vermeiden von Rauchen und starkem Übergewicht, sondern vor allem über mehr Bewegung.

Da aber die wenigsten Menschen bereit sind, ihren Lebensstil zu ändern, versuchen wir, diese Cholesterinbalance über eine Impfung zu beeinflussen, die gegen ein körpereigenes Protein wirkt, das das Verhältnis von LDL zu HDL negativ beeinflusst und so das Risiko für eine Arterienverkalkung steigert.

STANDARD: Eine herkömmliche Impfung stimuliert das Immunsystem gegen Krankmacher. Sie stimulieren gegen einen körpereigenen Stoff. Provozieren sie dadurch nicht eine Art Autoimmunreaktion?

Brunner: Nein. Eine Autoimmunreaktion zerstört körpereigene Strukturen. Wir behindern nur die Aktivität des Enzyms im Blut. Unsere Impfung, die auf Basis von Peptid-Antigenen funktioniert, fischt, wenn Sie so wollen, dieses Protein heraus und legt es dadurch lahm. Dabei werden keine Zellen zerstört. Aber selbst wenn wir dieses Protein ganz aus dem Blut entfernen würden, wären keine Probleme zu erwarten, denn es gibt Menschen, die von Geburt an ohne dieses Enzym gut und gesund leben können.

Man weiß jedenfalls aus Studien, dass bei Verringerung dieses Enzyms der HDL-Spiegel steigt und dass sich dies positiv auswirkt. Die Blockade dieses Enzyms wäre natürlich auch mit Medikamenten möglich, eine Impfung ist für Betroffene aber wesentlich angenehmer, weil sie nicht jeden Tag eine Pille schlucken müssen.

STANDARD: Wie soll denn das Impfschema aussehen, und bis wann ist mit der Markteinführung zu rechnen?

Brunner: Beides lässt sich heute noch nicht definitiv beantworten. Ich gehe aber davon aus, dass zunächst drei Impfungen erfolgen werden, dann wird man einen Bluttest machen müssen, um zu sehen, ob ausreichend Antikörper vorhanden sind. Und was den Zeithorizont betrifft, so hoffe ich, dass wir schon im nächsten Jahr mit der ersten klinischen Phase beginnen können. Bis zur Markteinführung werden aber Daumen mal Pi sicher noch rund sieben Jahre vergehen.

STANDARD: Kritiker werden Ihnen vielleicht vorhalten, dass Ihr Ansinnen kontraproduktiv sei. Ist diese Impfung nicht quasi ein Freibrief für alle, ihren ungesunden Lebensstil weiterzuführen, weil es ja die Rettungsspritze gibt?

Brunner: Ich glaube, dass die meisten wissen, dass sie ein ungesundes Leben führen, aber trotz aller Aufklärungskampagnen nicht bereit sind, dieses zu ändern. Und es gibt auch eine Gruppe von Menschen, die ein angeborenes Problem mit dem Fettstoffwechsel haben. Daher hat eine solche Impfung einen Sinn.

STANDARD: Und wie sind Sie auf die Idee gekommen, einen Impfstoff gegen Gefäßverkalkung zu entwickeln?

Brunner: Wenn Sie eine Firma gründen, schauen Sie sich zunächst danach um, was ein lohnenswertes Ziel darstellt. Und da haben wir gesehen, dass das Problem der Gefäßverkalkung weitverbreitet und mit unserer Technologie zu lösen ist. Erkrankungen aufgrund Atherosklerose sind mit etwa 50 Prozent die häufigste Todesursache in der westlichen Welt. Je nach Lage der Gefäße können kardiovaskuläre Erkrankungen, also Herzinfarkte, Schlaganfälle und periphere vaskuläre Erkrankungen die Folge sein. Und aufgrund der weltweiten Verbreitung des Leidens, ist es auch ein wirtschaftlich interessantes Ziel.

Man wirf das der Biotech- und Pharmaindustrie zwar immer wieder vor, aber wie können wir Millionen Euro in ein Produkt investieren, wenn wir damit keinen Profit machen können? Dafür hätten unsere Geldgeber bestimmt kein Verständnis. Der weltweite Markt für therapeutisches Cholesterin-Management liegt laut den jüngsten mir vorliegenden Zahlen derzeit bei jährlich etwa 40 Mrd. US-Dollar, das sind gut 27 Mrd. Euro. Und dieser Markt wird weiterhin wachsen.

STANDARD: Sie wurden heuer zur ersten FEMtech-Expertin des Monats gewählt. Was bedeutet ihnen die Ehre?

Brunner: Der Zweck dieses Programmes ist es, aufzuzeigen, dass es doch auch Frauen in der Forschung gibt. Und ich denke, dass über dieses Aufzeigen zusätzlich die eine oder andere ermutigt wird, ebenfalls diesen Weg einzuschlagen. Daher freut mich die Auszeichnung. (DER STANDARD, Printausgabe, 16.1.2008)