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Die Neuzuerkennungen auf Invalidität steigen leicht.

Grafik: APA
Wien - Die Regierung ist ihrem erklärten Ziel einer Anhebung des Pensionsantrittsalters bisher kaum nähergekommen - der Grund dafür liegt zu einem guten Teil im großen Zustrom zur Invaliditätspension, die nach Ende der vorzeitigen Alterspension als eine Art Schlupfloch fungiert. Das meint zumindest die Wirtschaftskammer. Mit einer weitgehenden Aufhebung des für Facharbeiter und Angestellte bestehenden Berufsschutzes, monetären Anreizen für längeres Arbeiten, Gesundheitsboni und einem Rechtsanspruch auf Rehabilitationsmaßnahmen glauben Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl und der Sozialexperte der Kammer, Martin Gleitsmann, die Zahl der (neuen) Invalidenpensionen halbieren zu können.

Die Invaliditätspension sei die "Achillesferse der Pensionsreform", ein so hoher Anteil von Pensionierungen aufgrund von Invalidität sei im Land mit dem "besten und teuersten Gesundheitssystem" nicht wirklich akzeptabel. Nach den jüngsten vorhandenen Daten (2006) sind 38 Prozent aller neuen Pensionen (keine Hinterbliebenen-, nur Arbeitnehmerrenten) auf Pensionierungen wegen Invalidität zurückzuführen. Dies trägt dazu bei, dass in der Alpenrepublik nur mehr 36 Prozent aller 55- bis 64-Jährigen noch arbeiten, während der entsprechende Wert etwa in Schweden beinahe doppelt so hoch liegt.

Anreize schaffen

Nach Vorschlägen der WKÖ, die derzeit mit der Gewerkschaft diskutiert werden, soll künftig der Zugang zur Invaliditätspension erschwert werden. Anreize sollen zusätzlich dafür sorgen, dass einerseits Arbeitnehmer freiwillig länger im Arbeitsprozess bleiben und dass Unternehmen diese auch tatsächlich länger beschäftigen.

Bisher hat man sich auf Betriebsebene allzu oft und allzu schnell zu Lasten des Sozialversicherungssystems geeinigt, gibt man in der Kammer zu: "Was es oft gegeben hat und noch gibt, ist ein gemeinsames Interesse von Betrieben und Arbeitnehmern, nicht die Invaliditätpension zu vermeiden, sondern sie im Gegenteil auf 'Teufel komm raus' zu lukrieren." Aber die "demographische Wende" sei voll im Gang und Betriebe seien künftig immer stärker auf ältere - sich fortbildende - Arbeitnehmer angewiesen, argumentiert Leitl. Und außerdem "ist es unwürdig, jemanden aus der Arbeitsgesellschaft auszuscheiden, der noch Leistung erbringen kann."

Berufsschutz

Daher will die Wirtschaft den Berufsschutz für Facharbeiter, Angestellte und Beamte abgeschafft wissen - zumindest für unter 57-Jährige. Für Hilfsarbeiter und Unternehmer gibt es aktuell keinen solchen Berufsschutz. Der Berufsschutz stellt im Wesentlichen sicher, dass Personen mit einem (erlernten) Hauptberuf nicht gezwungen werden können, andere Tätigkeiten zu verrichten, wenn sie ihren erlernten Beruf nicht mehr ausüben können.

Die Wirtschaftskammer will nun, dass künftig keine Invaliditätsrente mehr gezahlt wird, wenn der Betroffene eine "verwandte" oder "gleichartige" Tätigkeit ausüben kann, nach dem Motto: "Gleiches Recht für alle." Aber ein "automatisches Hineinschleusen" in ungeliebte andere Berufe wolle man nicht. "Wird alles umgesetzt, was wir vorschlagen, glauben wir, dass eine Halbierung der Antragszahlen möglich ist", sagt Gleitsmann, Chef der sozialpolitischen Abteilung in der Wirtschaftskammer.

Arbeitsfähigkiet erhalten

Weiters soll mit "allen verfügbaren Mitteln" die Arbeitsfähigkeit erhalten werden - etwa mit einem Rechtsanspruch auf Rehabilitation z. B. nach einem Unfall, und Bonuszahlungen für Arbeitehmer und Arbeitgeber. Wie bei Mitarbeitergesprächen sollen die Arbeitgeber mit den Arbeitnehmern "medizinische Ziele" vereinbaren, bei deren Erreichung eine Prämie fällig wird. Für Betriebe wiederum soll sich betriebliche Gesundheitsförderung oder auch die Beschäftigung gesundheitlich beeinträchtigter Menschen in klingender Münze niederschlagen. Und damit bei den Arbeitnehmern auch die richtige Motivation vorhanden ist, weiterzuarbeiten, sollen die Zuschläge für längeres Arbeiten saftig erhöht werden - z.B. 30 Prozent mehr Pension für jeden, der bis 70 arbeitet. In Schweden habe man mit einem solche Modell massive Erfolge bei der Erwerbstätigkeit erzielt.

Obwohl die Reform der Invaliditätsregelungen bei der letzten Pensionsreform verschoben worden ist, glaubt die Wirtschaftskammer, dass sie verfassungsrechtlich leichter durchzubringen wäre als Veränderungen bei den regulären Pensionen. Begründung: Der Grundsatz des "Vertrauensschutzes", der nur sehr langsame Veränderungen zulässt, könne auf die Invaliditätspension nicht angewendet werden, weil niemand jahrzehntelang auf eine Invaliditätspension hinarbeite.

"Nachhaltigkeitsfaktors"

Die Wirtschaftskammer trete stark für die Einführung eines "Nachhaltigkeitsfaktors" in das Pensionssystem ein, sagte Gleitsmann. Mit der Einführung eines solchen Faktors soll das Pensionssystem "stabil" gehalten werden - auch dann, wenn die Lebenserwartung weiter steigt. Dann müssten beispielsweise Beitragssätze erhöht, Pensionszahlungen gekürzt oder das Antrittsalter weiter nach hinten verschoben werden. "Unsere Empfehlung wäre es, die Lebenserwartung als Messgröße zu nehmen und an der Schraube Pensionsantrittsalter zu drehen", sagte Gleitsmann. Auch hier dikutieren derzeit die Sozialpartner in Arbeitsgruppen,. Die Regierung hat sich vorgenommen, einen solchen Nachhaltigkeitsfaktor bis 2010 in das Pensionssystem einzuführen.

Hundstorfer weist WK-Forderungen zurück

ÖGB-Präsident Rudolf Hundstorfer hat die Forderungen der Wirtschaftskammer nach Abschaffung des Berufsschutzes zur Verringerung der Zahl der Invaliditätspensionen als falschen Weg zurückgewiesen. "Ziel muss die Erhaltung der Arbeitsfähigkeit sein. Ein eigenes Präventionsgesetz ist überfällig", so Hundstorfer in einer Aussendung. Außerdem sei die Entwicklung der gesundheitsbedingten Neuzuerkennungen in Österreich rückläufig. Von 2000 bis 2006 sei die Zahl der vorzeitigen Alterspensionen um mehr als 20.000 zurückgegangen.

Der ÖGB unterstützt das Ziel, die Zahl der vorzeitigen Pensionsantritte zu reduzieren - durch Erhaltung der Arbeitsfähigkeit. Das Institut für Höhere Studien (IHS) habe für Österreich ein jährliches Einsparungspotenzial von bis zu 3,6 Milliarden Euro durch flächendeckende Prävention und Gesundheitsförderung in Betrieben errechnet. Davon seien bis zu 1,4 Milliarden Euro durch weniger Erwerbsunfähigkeitspensionen und bis zu einer Milliarde Euro durch verminderte Krankenstandskosten erzielbar.

Präventions- und Gesundheitsförderungsgesetz

"Der ÖGB fordert ein umfassendes Präventions- und Gesundheitsförderungsgesetz, das unter anderem ermöglicht, dass die freiwillige Vorsorge-Untersuchung in den Betrieben stattfindet. Außerdem muss ein solches Gesetz dem betrieblichen ArbeitnehmerInnenschutz und der Gesundheitsförderung einen weitaus höheren Stellenwert geben, als dies bisher der Fall ist", sagt Hundstorfer.

Zu der von der Wirtschaftskammer vorgeschlagenen "Nachhaltigkeit" des Pensionssystems sagt Hundstorfer: "Man kann das Pensionsantrittsalter nicht einfach an die Lebenserwartung koppeln. Da spielen viel mehr Faktoren mit, zum Beispiel die Erwerbsquote." Deshalb sei eine automatisierte oder nur auf Expertenkommissionen basierende Koppelung des Antrittsalters an andere Faktoren abzulehnen: "Die Entscheidung muss bei der Politik bleiben." (APA)