ModeratorIn: Lieber Herr Schulmeister, danke fürs Kommen, liebe UserInnen, wir freuen uns auf eine anregende Diskussion.

Stephan Schulmeister: Liebe ChatterInnen, ich freue mich, dass ich zu so einer spannenden Zeit mit Ihnen in Kontakt treten kann.

Userfrage per Mail: Die Wirtschaft ist ja mittlerweile sehr globalisiert. Als Motor gilt schon lange nicht mehr nur die USA. Wie bedrohlich wäre also eine US-Rezession für Österreich tatsächlich?

Stephan Schulmeister: Eine Rezession in den USA würde das Wachstum in Europa deshalb nahezu zwingend dämpfen, weil einerseits die europäische Wirtschaft, insbesondere die deutsche, in hohem Maß vom Export abhängt, und weil andererseits andere "Wachstumsmotoren" nicht auf noch höhere Drehzahl übergehen können (z.B. China). Im Gegenteil, angesichts der Finanzturbulenzen ist auch eine Wachstumsabschwächung in anderen Regionen wahrscheinlich. Eine kluge Politik müsste deshalb jetzt schon Maßnahmen zur Stärkung der Binnennachfrage in Europa setzen.

Technologie Experte: Ist es eine Illusion, dass Kleinanleger an der Börse investieren sollen?

Stephan Schulmeister: Keine Illusion, aber mit einem Risiko verbunden. Je breiter gestreut ein Aktienportfolio ist, und je länger der Zeithorizont der Veranlagung, desto geringer ist das Risiko. Wovon ich dringend abrate, ist das kurzfristige "Traden".

hm81: Guten Tag! Wie werden 'normale' Bürger die Auswirkungen des Börsensturzes zu spüren bekommen? Vielen Dank!

Stephan Schulmeister: Das hängt vom Ausmaß der Kursverluste ab. Überdies ist zu berücksichtigen, dass unsere Wirtschaft derzeit von sinkenden Aktienkursen stärker beeinträchtigt wird, als noch vor 10 Jahren. Hauptgründe: 1. Die stärkere und breiter gestreute Veranlagung in Aktien, insbesondere via Pensionsfonds. 2. Die höhere Verflechtung zwischen Real- und Finanzwirtschaft. Je mehr Aktien andere Unternehmen nicht-finanzielle Konzerne halten, desto stärker werden Ihre Realinvestitionen durch die Aktienentwertung gedämpft.

Kabarett Österreich: Wie kann sich dies für uns Häuslbauer auswirken. Ist nun mit einer so starken Mehrbelastung zu rechnen, dass auch bei uns so eine Art Immobilienkrise kommen kann?

Stephan Schulmeister: Unmittelbar kann sich ein Aktienkursverfall nicht negativ auf "Häuslbauer" auswirken, der direkte Effekt könnte sogar dann positiv sein, wenn es zu deutlichen Zinssenkungen kommt und der Hypothekarkredit felxibel verzinst ist.

homo sapiens: Bestehen noch weitere "Blasen" weltweit? Z.B. auch eine Immoblase in Osteuropa, oder überhitzte Börsen in Asien?

Stephan Schulmeister: Die Börsen in Asien haben sich sehr unterschiedlich entwickelt. Die Kurse in Tokio sind nur wenig höher als vor 15 Jahren, in China wurden hingegen grotesk starke Kurssteigerungen realisiert.

zaine: Inwiefern kann man wirklich von einer "Panikreaktion" sprechen? Haben frühere Wirtschaftskrisen (mit nachhaltigen, globalen Auswirkungen) nicht ähnlich begonnen? (überspitzt formuliert: ist "unsere" Weltordnung in Gefahr?)

Stephan Schulmeister: "Panikreaktion" ist eine kurzsichtige Symptomdiagnose, man muss die "Bergfahrt" und die Talfahrt von Kursen als Gesamtheit betrachten. Eine wesentliche Ursache für den derzeitigen Kurzssturz waren die übersteigerten Kursgewinne zwischen März 2003 und Juni 2007. Die sogenannten Experten, Analysten haben während der "Bergfahrt" nicht begriffen, dass die Kurse damit jene Höhe gewannen, von der sie nun "abfahren" und runter geht es immer schneller als hinauf. Dieses Grundmuster ist typisch für jede Börsenkrise.

bio? logisch!: Wie kann es zu so einer massiven fehlbewertung bei der hypothekenvergabe kommen, die die welt finanzwirtschaft mit sich in den abgrund reisst?

Stephan Schulmeister: Die Hypothekarkrise ist für mich mehr Auslöser als Hauptursache des Aktienkursverfalles. Die Fehlbewertung wurde wesentlich durch 2 Faktoren erleichtert, die Profitansprüchlichkeit der Anleger und die vielen "Zwischenhändler" zwischen den US-Häuslbauern und den "Endkäufern" dieser hybriden Wertpapieren. "Abgrund" ist mir apokalyptisch, "Korrektur" euphemistisch, "schwere Krise" wird wohl am besten passen.

Andi77: Es wurde schon vor längerer Zeit vorausgesagt, dass es zu einer Finanzkrise kommen würde. Wieso wurden nicht schon im vorhinein Maßnahmen gesetzt? Hätte die Krise dadurch abgeschwächt werden können?

Stephan Schulmeister: Sicher, wenn es der Politik hätte gelingen können, das Ausmaß der (manisch-depressiven) Schwankungen zu mildern, wäre die Realwirtschaft weniger beeinträchtigt. Aber wie soll die Politik eine solche Aufgabe in Angriff nehmen, wenn der Glaube dominiert, dass freie Märkte nicht systematisch falsche Signale produzieren können.

° #1: Macht eine Art distanz-abhaengige Tobin-Tax auf Finanztransaktionen Sinn, um lokale Investments zu staerken und damit zu verhindern, dass lokale Krisen zu globalen Krisen werden?

Stephan Schulmeister: Eine generelle Finanztransaktionssteuer würde meiner Ansicht nach die Profitabilität von Finanzspekulationen und so indirekt Realinvestitionen fördern. Dass dadurch gerade lokale Investitionen begünstigt werden, scheint mir fraglich.

christian riederer: sie ragen vom kurzfristigen traden ab - das ist interessant! aber das ist doch genau das, was jene machen, die für das augenblickliche geschehen verantwortlich sind. die wirtschaft boomt, die nachfrage ist gut - die börsen brechen ein. erkläre mir e

Stephan Schulmeister: Auch deshalb rate ich Privatpersonen vom kurzfristigen Traden ab. Dieses ist nämlich primär ein "Umverteilungsspiel" bei dem die Profis systematisch bessere Karten haben.

fragmich 111: Wie stark müssen die Zinsen sinken, um das Vertrauen in die Finanzmärkte wieder herzustellen? Und wie soll das bei steigender Inflation gehen?

Stephan Schulmeister: Das lässt sich nicht quantifizieren. Zinssenkungen allein werden wahrscheinlich nicht ausreichen um dieses Vertrauen wieder herzustellen (insbesondere dann, wenn sich die Kursrückgänge noch einige Zeit fortsetzten). Es wäre höchste Zeit einen empirischen Befund über 35 Jahre "freier" bzw. "ent-fesselter" Finanzmärkte zu erarbeiten.

yomo: zwei fragen von einem laien: was bedeutet die rezession inkl. europäischen auswirkungen für die sprichwörtliche oma und ihr sparbuch bzw. ihren sparstrumpf? und: wie würden Sie die binnennachfrage in europa ankurbeln?

Stephan Schulmeister: Die Omas samt Sparbuch sind davon nicht unmittelbar betroffen (in geringem Ausmaß durch Zinssenkungen). Die Binnennachfrage müsste in erster Linie durch sinnvolle öffentliche Ausgaben (Bildungswesen, Umwelt, Verkehrsinfrastruktur, Altenbetreuung) stimuliert werden, Steuersenkungen, insbesondere für Unternehmen, verpuffen in einer Rezession (siehe Deutschland 2001/2002) oder sie müssen so groß sein, dass sie zu eine drastischen Erhöhung des Budgetdefizits führen (USA 2001/2005).

Slozni_smo: Wird die amerik. Federal Bank die Geldmengen erhöhen, oder reduzieren. Was glauben Sie? Oder werden sie garnicht reagieren?

Stephan Schulmeister: Die Fed steuert seit fast 20 Jahren nicht mehr die Geldmenge, sondern den Leitzins. Diesen wird sie demnächst wieder stark senken.

° #1: Werden Krisen dadurch verstaerkt, dass Regierungen/Zentralbanken nach einer Krise helfend eingreifen? Bis die Eingriffe Wirkung zeigen ist die Krise laengst vorrueber, stattdessen wird eine neue Blase erzeugt (die dann nach ein paar Jahren wieder pl

Stephan Schulmeister: Sie haben recht, entscheidend ist die Geschwindigkeit der Reaktion. So haben etwa die USA 2001 auf Aktienkursverfall und Rezession so rasch mit einer konzertiert expansiven Geld- und Fiskalpolitik reagiert, dass schon nach kurzer Zeit ein kräftige Aufschwung einsetzte. Obwohl die Rezession von den USA ausging, wurde die EU davon viel stärker in Mitleidenschaft gezogen, weil die Politik passiv blieb und zunächst glaubte, man werde von der US-Rezession ohnehin kaum betroffen sein. Richtig dürfte sein, dass die US-Geldpolitik so extrem expansiv war, dass sie wesentlich zum Immobilienboom beitrug. Doch dieser hat immerhin 4 Jahre lang zu hohem Wirtschaftwachstum beigetragen, die jetzige Krise wird die pragmatische US-Politik abfangen und zwar teilweise durch ihren Export nach Europa.

Andreas Pizsa: Schönen guten Tag, Herr Schulmeister! Die Gründer Ihres Instituts (1927 - zwei Jahre vor 1929), Ludwig von Mises und sein Schüler Hayek, hätten nicht nur vor der gegenwärtigen Krise gewarnt, sie könnten sie auch schlüssig erklären. Woran liegt es, d

Stephan Schulmeister: Ich würde gerne mit Hayek über seine "schlüssige Erklärung" der Preisdynamik auf Finanzmärkten und der damit verbundenen Krisen sprechen. Ich glaube freilich nicht, dass er schlüssige Erklärungen hat, es sei denn, er hätte sie mit ins Grab genommen. Denn für Hayek ist es ausgeschlossen, dass ein freier Markt systematisch falsche Preissignale produziert, insbesondere nicht der Finanzmarkt. Daher war Hayek dafür, das gesamte Währungswesen zu privatisieren.

Lux: Welches Szenario könnte von den derzeitigen Geschehnissen ausgehend zu einer tatsächlichen "Krise" führen, etwa nicht liquide Hausbanken, leere Bankomaten etc. ? Wie unrealistisch ist ein solches Szenario?

Stephan Schulmeister: Sehr unrealistisch. Die Notenbanken würden als "lender of last resort" einspringen.

Tom G1: Kann es sein, dass an der Wiener Börse durch die staatlich geförderte Pensionsvorsorge- Zukunftsvorsorge eine ganz besonders ausgeprägte Überbewertung entstanden ist- Fondsmanager müssen de facto Papiere in Wien kaufen? Sollte die Zukunftsvorsorge n

Stephan Schulmeister: Sehr richtig. Im übrigen bin ich überzeugt dass das Grundkonzept der kapitalgedeckten Altersvorsorge überdacht werden muss. Ausgerechnet diesen Bereich den Aktienmärkten "anzuvertrauen" scheint mir ziemlich paradox.

Adviser: Hat nicht eine zu lose Geldpolitik in den USA - viel zu lange, viel zu billiges Geld, Stichwort Greenspan-puts -, gepaart mit Regulationsversagen auf den Finanzmaerkten zur Blasenbildung mitbeigetragen?

Stephan Schulmeister: Da ist was wahres dran. Meine persönlich Überzeugung lautet: im Finanzkapitalismus braucht es Booms, um die Realwirtschaft zu stimulieren, und die USA können das damit verbundene "Zauberlehrlingsproblem" besser managen als die EU. Eine systemische Lösung erfordert freilich eine schrittweisen Übergang zu realkapitalistischen Rahmenbedingungen.

Aracni Santini: Wie weit wird der USD fallen? Hat nicht die Zinssenkungspolitik der FED diese Krise generiert? Ist dann eine weitere Zinssenkung nicht so als würde man Öl ins Feuer gießen? Bei 80 % Verschuldung? Kann man den 100% Verschuldung anstreben? Wieviel kos

Stephan Schulmeister: Nicht Öl ins Feuer sondern in eine verglimmende Glut, also der Versuch wieder ein Feuerchen zu entfachen. Siehe "Zauberlehrlingsproblem".

schwarzerbaso: Im Oktober 1987 war ebenfalls ein Boersencrash zu erwarten, viele verkauften einfach nur um Verluste zu minimieren. Nun passiert das selbe, alle verkaufen um Verluste zu minimieren...egal ob es der darunterliegenden Firma gut oder schlecht geht. Gib

Stephan Schulmeister: Letzeres weiß ich nicht. Weiters: die jetzige Entwicklung ist grundverschieden vom Oktober 1987 damals beschränkte sich die Krise auf wenige Tage, während derzeit wahrscheinlich ein "bear market" seinen Anfang nimmt.

Philipp Hochmuth: Wie lange wird es noch dauern, bis sich die instabile Lage wieder normalisiert?

Stephan Schulmeister: Keine Ahnung.

ModeratorIn: Lieber Herr Schulmeister, vielen Dank noch einmal für Ihre Bereitschaft zu kommen. Liebe UserInnen vielen Dank für die vielen, vielen Fragen, die wir leider bei weitem nicht alle beantworten können. Allen noch einen schönen Tag.

Stephan Schulmeister: Take it easy und auf Wiederlesen.