Der deutsche Schlagzeuger Günter "Baby" Sommer gastierte in Wien.

Foto: Hendrich
Foto: Hendrich
Wien – Den juvenilen Kosenamen wird er auch auf seine alten Tage nicht mehr los. Und an sich will er das auch gar nicht. Denn dass Günter Sommer (64), einst zu Günter "Baby" Sommer mutierte, das war schon damals signifikant für einen Musiker, der "anders" war. "Was machst du da für einen Quatsch? Willst du alles wieder neu erfinden wie Baby Dodds?", habe ihn Trompeter Klaus Lenz in Anspielung auf den legendären New-Orleans-Schlagzeuger gefragt. Eine Unmutsäußerung, die in Sommers Ohren wie ein Kompliment klang. Denn in den späten 60ern war auch im Spiel des Dresdner Schlagzeugers, der zuvor u.a. Max Roach "wie ein Dieb" kopiert hatte, eine eigene Spielweise, abseits der US-Vorbilder, in Entwicklung begriffen. Sommer sollte seinen Beitrag zu jener oft mit Hanns Eisler assoziierten, sich durch eklektische Nonchalance und kammermusikalische Klarheit auszeichnende Variante freier Musik leisten, die als spezifisch "ostdeutsch" bezeichnet wurde.

"Dass die ostdeutschen Musiker anders klangen, das hat auch damit zu tun, dass wir weniger die Furcht hatten, die Vergangenheit zu integrieren. Für uns waren Volksmusik oder preußische Märsche nicht tabu. Für uns war es nie ein Problem, einen Dreiklang zu spielen."

Dennoch, so erzählt er, der ab 1972 dem Quartett Synopsis angehörte, der Paradeformation des DDR-Free-Jazz, die sich 1984 unter dem auf das allbeherrschende Zentralkomitee der KP anspielenden Namen "Zentralquartett" reuniierte, wäre die Musik untrennbar mit einer widerständischen Haltung verknüpft – und gerade deshalb erfolgreich gewesen. "Bei uns kamen nicht Intellektuelle und Studenten zu den Konzerten, sondern die Arbeiter- und Bauernjugend. Jene, die die Energie von Rock und Blues suchten, die aber nie die Rolling Stones zu sehen bekamen– sie liefen uns voll in die Arme. Da war es nun einmal der Free Jazz, der diese Kraft zum Anderssein vermittelte."

Nach der Wende 1989 seien "diese politischen Aspekte raus und unsere Musik mit in die allgemeine Kultur- und Musikszene eingegangen", so Sommer. Dass er sich als Relikt sehen würde, dafür ist seine Klangkunst indessen noch immer zu spannend, zu vital. Sein Konzert im Rahmen des in Porgy&Bess und Alter Schmiede anberaumten Festivals Hummin’ & Drummin’ beglückte durch distinkte Einheiten polychromer Schlagzeugmusik:

Die Musik-Logik

Etwa in Gestalt einer von melodischer Sensibilität und rhythmischer Pattern-Logik geprägten Hommage an Bebop-Meister Max Roach. Oder einer gleichsam impressionistischen, an Becken, Gongs und Hang klanggemalten Imagination eines nächtlichen Sternenhimmels. Er habe sich schon früh weniger als Schlagzeuger denn als Musiker gefühlt, so Sommer. Als Musiker, der den Dialog sucht.

Aktuell etwa mit Trompeter Wadada Leo Smith ( Wisdom in Time , Extraplatte). Wie auch mit einem Virtuosen des Worts: "Günter Grass sagt: ,Ich kann jede Seite meiner Bücher lesen, aber was dich musikalisch interessiert, weißt nur du.‘ So arbeite ich seine Bücher durch, breche sie auf 15Seiten Manuskriptfassung runter, gehe mit einem Konzeptvorschlag zu ihm, und wir ergänzen, arbeiten es aus", so Sommer über die seit 1985 andauernde Kooperation. Wer jene Wort- und Klangketten etwa in den Hörbuch-Fassungen von "Ein weites Feld", "Da sagte der Butt" oder "Mein Jahrhundert" (alle: Steidl) hört, der vernimmt eine in ihrer Intensität und überraschungsreichen Prägnanz schlicht faszinierendes kontrapunktisches Ineinanderwirken von semantischer und akustischer Ebene. "Ich konterkariere manche Dinge, ich unterstütze andere, ich führe fort, führe zurück. Grass ist ein großartiger Sprecher, rhythmisch und dramaturgisch höchst spannend." (Andreas Felber, DER STANDARD/Printausgabe, 22.01.2008)