Bilder trotz allem: zwei der vier Aufnahmen, die die Debatten (neu) entfachten, hier mit dem Rahmen – dem Blick aus der Gaskammer –, der in Reproduktionen häufig weggelassen wurde.

Foto: DER STANDARD/Matthias Cremer

"Akademische Rivalitäten": Philosophin Karoline Feyertag.

Foto: DER STANDARD/Matthias Cremer

"Die Zeitzeugen werden immer weniger": Fotohistoriker Anton Holzer.

Foto: DER STANDARD/Matthias Cremer
Was Bilder sagen können und (nicht) dürfen: Besonders wenn es um die Shoah geht, wird über dieses Thema unter Historikern und Medienwissenschaftern heftig diskutiert. Ein Vorbericht zu einem Workshop.

*****

Vier Fotos, aufgenommen 1944 in Auschwitz: An ihnen entzündete sich vor acht Jahren eine Debatte, die quer durch Kunstgeschichte, Bildwissenschaft und Medientheorie geht, ihr Epizentrum im Pariser Kulturleben hat, zu einer Buchveröffentlichung auf Deutsch führte und in einem Workshop am Wiener Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften (IFK) weitergehen wird.

Die Bilder sind seit vielen Jahrzehnten bekannt. Mitglieder eines jüdischen Sonderkommandos hatten sie heimlich gemacht, um die Schauplätze der Massenermordungen zu dokumentieren. Sie gelangten auf dramatischen Umwegen in die Hände von polnischen Widerstandskämpfern, doch vor Kriegsende nicht an die Öffentlichkeit. 1946 wurde eines in einer Ausstellung gezeigt, die drei anderen gelangten in den Fünfzigerjahren ebenfalls an die Öffentlichkeit.

Im Jahr 2000 kommentierte sie der französische Kunsthistoriker Georges Didi-Huberman für eine Ausstellung über „Erinnerungen an die Lager“. Das war der Beginn eines immer noch andauernden Streites zwischen ihm, dem Dokumentarfilmer Claude Lanzmann, Psychotherapeuten aus der Lacan-Schule und der in Shoah-Fragen sensibilisierten Pariser Öffentlichkeit.

Worum geht es, und warum verging fast ein halbes Jahrhundert bis zum Ausbruch der Kontroverse?

Es geht, folgt man dem Kunstgeschichtler Peter Geimer von der ETH Zürich, „um den Status der Bilder. Didi-Huberman hält sie für unersetzliche Spuren, die eine die Texte ergänzende Rolle spielen.“ Geimer, der Didi-Hubermans Buch zum Thema ins Deutsche übersetzt hat (Bilder trotz allem. Fink Verlag, 2006), teilt die Ansicht des Autors, dass die Fotos in aufklärerischer Absicht gemacht wurden; sie nicht zu veröffentlichen würde noch im Nachhinein das Auschwitz betreffende Bilderverbot der Nazis bzw. deren Vernichtung der Spuren bestätigen. Dem hält vor allem Lanzmann entgegen, dass es von der Shoah keine Bilder geben darf, egal welcher Herkunft. Sie dennoch zu zeigen sei „Voyeurismus“ und „Vergnügen am Entsetzen“. In polemischen Beiträgen, unter anderem in Le Monde und den von ihm herausgegebenen Les Temps Modernes, warf er Didi-Huberman vor, die Unvorstellbarkeit und Einzigartigkeit des Holocausts zu leugnen und Antisemitismus zu fördern

Spätestens hier erhebt sich die Frage, wer denn bestimmt, was einzigartig und was darstellbar ist. Das Bilderverbot treibt den Befürworter dokumentarischer Arbeit in einen argumentativen Notstand, aus dem er sich mit komplizierten Rechtfertigungen herausbewegen muss – etwa dergestalt, dass Bilder wenigstens einen „Fetzen“ der Wirklichkeit speichern würden. Das allerdings zählt nicht in den Augen der „Siegelbewahrer des Holocaust-Gedenkens“, wie IFK-Direktor Helmut Lethen die Gruppe um Lanzmann nennt. „Das Bild ist aus vielem gemacht“, zitiert er Didi-Huberman, und Unvorstellbarkeit sei nur ein Dogma.

Warum aber wird darüber erst jetzt debattiert? Wahrscheinlich, vermutet der Fotohistoriker Anton Holzer, weil zum einen die Zeitzeugen immer weniger werden und daher die Frage nach der Authentizität der Erinnerung an das Geschehene sich immer dringender stellt – Lanzmann hält ja seinen Shoah-Film für den einzig legitimen Zugang zu diesem komplexen Thema. (Einig sind sich die französischen Diskutanten übrigens in der Ablehnung von Spielbergs Umgang mit der Geschichte; seine flotte Schindler-Story sei genau das, was Filmemacher nicht tun sollten.)

Zum anderen geht es, sagt Holzer, um die Kontextualisierung der Bilder, die früher nicht vorgenommen wurde. Es gab Ausstellungen, die ohne Quellenangaben Fotos aus den Kameras von Opfern und Tätern durcheinandermischten; die besondere Stellung etwa des Wehrmachtsfotografen Joe Heydecker, der sich im Warschauer Ghetto als Dokumentarist für die Nachwelt verstand, wurde nicht reflektiert.

Mittlerweile wird man sensibler für den Umgang der Wissenschaft wie der Medien mit Dokumentarfotografie. Beide stehen im Spannungsfeld, „Interessantes“ für die Öffentlichkeit zu produzieren und dabei gewisse Standards zu wahren.

Waffe der Faktizität

Um diese Standards werde in der Pariser Salons debattiert, sagt dazu die Philosophin Karoline Feyertag, und zu einem Teil handle es sich wohl auch um akademische Rivalitäten. In der Substanz aber gehe es tatsächlich um die Legitimität von Bildern als historische Belege – etwas, womit sich viele Historiker immer noch schwertun.

Ihre Skepsis wächst, wenn sie an die Probleme der Wehrmachtsausstellung vor einigen Jahren denken. Sie wurde mit viel Akribie und großem wissenschaftlichen Apparat vorbereitet und litt dennoch unter Problemen der Genauigkeit. Das mag auch erklären, warum die Ausstellung mit den von Didi-Huberman und vielen anderen kuratierten Bildern zwar in Frankreich, der Schweiz und Italien, aber (außer in München) nicht in Deutschland oder Österreich gezeigt wurde.

Didi-Huberman, sagt Feyertag, trage dazu bei, dass sich die Philosophie stärker auf die Empirie rückbezieht und mit Fakten konfrontiert – Fakten, die niemals „rein“ sind, so wie wie Bilder nie von sich aus genau sagen können, was „wirklich“ war.

„Die Waffe ist die Faktizität“, hält der Experimental- und Dokumentarfilmer Thomas Draschan dennoch fest. Er hat mit Hannes Gellner einen Film über die französischen Kindertransporte, La Mémoire des enfants, gemacht, und die Regisseure haben sich selber „ein gewisses Bilderverbot verordnet“, das heißt, sie haben sich nicht des Fundus der zeitgenössischen Bilder bedient. „Aber man sollte das nicht sektiererisch sehen. Der wahre Feind ist der Negationismus, dem man bei uns auf Schritt und Tritt begegnet.“

Ausschlaggebend für Didi-Hubermans Spurensuche war ein Schriftzeugnis, das in Auschwitz vergraben und später gefunden wurde. „Um den Vernichtungslagern in der Vorstellung standhalten zu können“, hatte ein polnischer Insasse – Mitglied der Sonderkommandos, die in den Vernichtungslagern aufräumen mussten, – notiert, „muss dein Herz zu Stein werden (...) und dein Auge zu einem Fotoapparat.“ (Michael Freund/DER STANDARD, Printausgabe, 23.1.2008)