Jeweils montags und donnerstags eine Stadtgeschichte Thomas Rottenberg

Es war am Donnerstag. Da schwänzte ich den Philharmonikerball und knotzte stattdessen bei einem kleinen Event entspannt in einer Lounge auf einem weißen Ledersofa. Ich ließ mich mit Fingerfood-Häppchen und Cocktails versorgen. Manchmal ist es nämlich wirklich unheimlich anstrengend und fordert alle Kräfte, wenn man den Job eines Gesellschaftsjournalisten professionell erfüllen will: Das kann nicht jeder. Egal.

Teil des Eventsettings war natürlich auch Beschallung. Und wie es sich für höherwertige Veranstaltungen gehört, legte da nicht einfach ein Kellner eine CD ein: man hatte einen DJ engagiert. Genauer: Eine DJ-ane. Und da wir uns – noch – in einem Lounge-Bereich befanden, musste auch das Musikprogramm entsprechen: die Dame verlegte Schall, der – so stand es auch auf der Einladung – dem Genre „Lounge“ zuzurechnen ist.

Geblubber

„Lounge“ steht für mittelsanftes, nicht weiter störendes aber auch sonst keinerlei Reaktionen hervorrufendes Geblubber. Nichtauskenner wie ich kennen es oft unter Namen wie „Café del Mar“ – schließlich liegen die nach dem Club benannten CD-Sampler (Volume 1 bis ungefähr 354) in etlichen Haushalten in Griffweite der Stereoanlage: „Lounge“ ist so etwas wie der kleinste gemeinsame Beschallungsnenner. Damit kann man – wenn Hintergrundmusik schon unvermeidlich ist – fast nie ganz falsch liegen.

Besser noch: Weil eh jeder immer und überall die gleichen Lounge-Tunes vorgesetzt bekommt, vermittelt Lounge-Musik immer ein bisserl ein „du bist hier nicht ganz fehl am Platz und passt zu uns“-Gefühl. Bei PR-Events ist das nicht unwichtig. Und weil eine Lounge keine Disco ist, ist der Sound nicht zu laut: man kann noch ganz passabel reden. In der Regel erfüllen DJs – und Djanes - in solchen Situationen also eher dekorative Funktionen. Sie demonstrieren, dass der Veranstalter nicht sparsam sein musste.

Selbstverständnis

Freilich: Wie sich das mit dem Selbstbild eines Schallverlegers verträgt, der seine Aufgabe darin sieht, einen Abend kreativ mit Ton zu befüllen, ist unklar. Ehrlich gesagt habe ich mir darüber auch noch nie den Kopf zerbrochen. Aber genauso wenig wäre ich bisher auf die Idee gekommen, einen Event-Kellner zu fragen, welchen Drink oder welches Häppchen er mir denn heute besonders empfehlen würde.

Am Donnerstag aber erlebte ich, dass auch ein Lounge-DJ auf sein Werk stolz sein will. Die Dame hinter dem Pult lieferte nämlich eine Show, mit der sie in jeder Disco und auf jedem Clubbing auftreten hätte können. Sie wippte und nickt im Takt, ließ die Haare fliegen, sprang auf und nieder und hin und her und fuchtelte ständig mit den Händen in der Luft herum. Freilich nur, wenn die Sound-Arbeit das zuließ: Während sie den Kopfhörer zwischen linker Schulter und linkem Ohr eingeklemmt hielt (wieso manche Djs nicht einfach Kopfhörer aufsetzen und eine Ohrmuschel hinters Ohr schieben, werde ich nie verstehen), fuhrwerkte sie auf ihrem Mischpult herum, als müsse sie da mindestens vier Plattenspieler plus Effektgeräte im Zaum halten.

Harte Arbeit

Sie drehte und drückte auf Knöpfe, schob Lautstärkeregler rauf und runter und Crossfade-Regler hin und her, dass mir beim Zuschauen schon schwindlig wurde. Und als wäre all das noch nicht genug, wechselte sie ständig in Windeseile CDs, cuete in den Tracks herum, synchronisierte mit konzentriert in Falten gelegter Stirn die Beats, sortierte, wog ab, entschied, wählte oder verwarf – und hatte darüber hinaus auch noch einen Laptop vor sich stehen. Auch auf dem mussten Tracks gesucht und bearbeitet werden. Ich saß da – und war zutiefst beeindruckt.

Vor allem deshalb, weil man von der sehenswerten Show (für uns Buben ließ die Blondine alle paar Minuten die Träger ihres BHs und ihres Tanktops von der rechten Schulter rutschen. Was soll so ein armes Mädel denn auch tun, wenn sie so schief mit der linken Schulter hochgezogen herumwerkeln muss?) akustisch nichts mitbekam. Wirklich nichts: Während die Djane sich abrackerte, blubberten exakt jene Lounge-Tracks aus den Boxen, die in Lounge-Locations immer laufen. Gemütliche Tracks, zu denen man allerhöchstens ein bisserl mit der Zehenspitze mitwippt. Schon alleine deshalb, weil sie in Zimmerlautstärke daherkommen.

Schweinsohren

Ich war mir nicht sicher (da die Tracks alle aus derselben Schmiede kommen, klingen sie für mich ähnlich), aber ich hatte das Gefühl, dass da Songs liefen, die ich tausendmal gehört hatte. Und zwar genau so, wie sie kamen: da war kein einziger Beat anders als auf den CDs. Einzig die Pausen zwischen den Songs wurden durch gemixte Übergänge ersetzt. Meistens waren Anfang und Ende der Lieder sogar für meine Schweinsohren gut zu erkennen.

Ein einziges Mal setzte die DJane einen akustischen Akzent: da dürfte sie einen Pan-Regler erwischt haben – jedenfalls schwappte die Musik von „mittig & zentral“ zuerst auf „ganz links“ und fuhr dann auf „ganz rechts“. Als das geschah, sah ich eine Art Fragezeichen im Gesicht des Mädels am Pult: Es dürfte sich also um ein Versehen gehandelt haben. Und gerade so, als wolle sie davon ablenken, dass sie da gerade einen Knopf erwischt hatte, bei dem tatsächlich etwa passieren konnte, verbrachte sie die nächsten eineinhalb Minuten damit, mit beiden Händen im Takt ihres aktuellen Tracks in die Luft zu boxen und ein bisserl head zu bangen.

Fanclub

Die Runde um unseren Couchtisch hatte sich im Laufe der Performance zu einem regelrechten Fanclub der hyperaktiven Schallverlegerin entwickelt. Begeistert – aber schweigend – sahen wir zu. Und als die junge Frau an den Reglern da regelrecht ausflippte, war es A., die als erste die Worte wieder fand: Sie vermutete, dass die Djane nicht nur eine Mischpultatrappe, sondern auch eine ausfahrbare Gogo-Stange, vielleicht ja sogar einen zusammenlegbaren Gogo-Käfig, in ihrer Tasche haben könnte. Und demnächst auch noch richtig zu tanzen beginnen würde.

Doch bevor es so weit war, griff sich der PR-Manager des einladenden Unternehmens das Mikrofon und begann mit seiner Produktpräsentation. Danach war Party. Da legte jemand anders auf. Ziemlich gut sogar. (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 28. Jänner 2008)