Indie-Heldin und Oscarkandidatin gleichermaßen: Ellen Page (li.) in und als "Juno"

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Die glamouröse Welt der Oscars ist dem Filmfestival von Rotterdam traditionellerweise recht ferne. Auch unter der neuen Direktion von Rutger Wolfson liegt der Schwerpunkt auf einem jungen Kino, das sich fernab der industriellen Strukturen eines zunehmend einseitigeren Verwertungsmarktes entwickelt. So heißt eine Reihe programmatisch "Free Radicals": Gemeint sind damit genuine Autorenpositionen, die sich von keinen Moden beirren lassen. Film-/Videokünstler wie der Amerikaner Cameron Jamie, der in den nächsten Tagen seine Arbeiten über so seltsame archaische Rituale wie Hintergassenwrestling, unterstützt von der Rockband The Melvins, präsentieren wird.

Manchmal reisen die Oscars dann doch auch in Rotterdam an – dieses Jahr mit Jason Reitmans US-Indie-Hit Juno, der in vier Kategorien (darunter bester Film) nominiert wurde. Juno heißt die 16-jährige Protagonistin, die nach einem von ihr eingefädelten Sexabenteuer mit dem schüchternen Bleeker (Michael Cera) schwanger wird. Was der Anfang eines Hindernislaufs eines zu früh mit dem Erwachsensein konfrontierten Mädchens werden könnte, bleibt – und genau darin liegt die Leistung des Films – einfach ein zeitgenössisches Teenagerporträt.

Das heißt nicht, dass Junos Schwangerschaft nicht ganz real wird. Doch in gewisser Weise bringt sie ihr Anderssein nur ein wenig deutlicher zum Vorschein: Schlagfertig, kokett raubeinig und von der Überlegenheit ihres Geschmacks überzeugt, stellt sie sich auch heiklen Lebenssituationen, ohne auf die Meinungen von anderen viel Wert zu legen. Die in Wirklichkeit 20-jährige Ellen Page verkörpert Juno auf geradezu umwerfende Weise. Gleichzeitig umgibt Reitman sie mit einem stimmigen Kosmos – mit Nebenfiguren wie den Adoptiveltern des Babys: Während sie sich auf ihre Mutterrolle wie auf einen Eroberungskrieg vorbereitet, startet er mit Juno lieber ein Quiz über Horrorfilme und Popmusik. Das Thema "Schwangerschaft" wird im Drehbuch von Diablo Cody zum Gradmesser für die Elastizität einer Gesellschaft gegenüber traditionellen Rollen. Es ist dieser hintersinnige Tonfall von Juno, seine Sprachgenauigkeit und das Auge fürs Detail, die den Film so charmant machen.

Geisterhafte Kulisse

Über eine ganz eigene Stimme verfügt auch der bisher beste Wettbewerbsbeitrag, Wonderful Town, der ein an Zwischentönen reiches Drama um einen Mann und eine Frau entwirft, die mehr voneinander trennt, als man zunächst annimmt. Ein weiterer Protagonist ist der Schauplatz, Takua Pa, eine abgeschiedene Küstengegend Thailands, die vor drei Jahren vom Tsunami überschwemmt wurde. Immer noch sieht man verlassene Baracken, die ähnlich wie in Jia Zhang-kes Staudammfilm Still Life eine geisterhafte, wiewohl ganz materielle Kulisse abgeben, die die Befindlichkeiten der Figuren unterstreicht.

Aditya Assarat, der wie sein renommierter Kollege Apichatpong Weerasethakul in den USA studiert hat, erzählt in seinem Debüt mit viel Feingefühl, wie zwischen einem Architekten und einer Hotelangestellten in zögerlichen Schritten Vertrautheit entsteht. Man ist geneigt, ihre vorsichtigen Gesten als die Zeichen einer Wiedergutmachung zu verstehen. Doch dieser Eindruck täuscht, allmählich sickert eine unbestimmte Bedrohung ein, die die beiden wieder auseinandertreibt.

Auf der Nachtschiene "Rotterdämmerung" bietet das Festival schließlich auch heuer einem schrilleren Kino ein Forum: Mit Dainipponjin kam ein besonders eigenwilliger Vertreter wieder einmal aus Japan: eine Fake-Doku um einen leicht depressiven Superhelden namens Big Man Japan, der erst mithilfe von Stromstößen in seine übergroße lila Unterhose hineinwächst.

Inszeniert und gespielt von Hitoshi Matsumoto, einem in seiner Heimat hochgeschätzten Komiker, verfügt dieser ironische Zugriff auf das Superhelden-Genre über beträchtlichen trockenen Witz. In Interviews, die immer wieder mal bleiern versanden, raunt der Star über seine missliche Lage, dem Quotendruck genügen zu müssen. Dazwischen verprügelt er in grob digital animierten Szenen seltsame Gegner, deren Fähigkeiten ziemlich begrenzt sind. Hier war man, endlich, wieder sehr weit von den Oscars weg. (Dominik Kamalzadeh aus Rotterdam, DER STANDARD/Printausgabe, 29.01.2008)