Jeweils montags und donnerstags eine Stadtgeschichte Thomas Rottenberg

Es war am Donnerstag. Am Tag des Opernballes. Und weil die Dame, die mich da gegen halb fünf auf der Kärntner Straße so heftig beschimpft hatte, mir keine Chance gab, ihr zu erklären, dass ich nicht darauf aus war, brandschatzend, mordend und plündern zuerst die Oper und denn die westliche Zivilisation nieder zu machen, möchte ich es eben auf diesem Weg versuchen – und mich in aller Form entschuldigen.

Also: Es tut mir aufrichtig leid, dass ich am 31.1. 2008 gegen 16.30 Uhr unmittelbar vor der Wiener Staatsoper eine Serviette habe fallen lassen. Es geschah keinesfalls in böser oder heimtückischer Absicht. Es war auch kein Code für andere Bösewichter. Und ich habe nicht versucht, mich durch eine schnelle Flucht vom corpus delicti weg in Richtung Innenstadt aus meiner Verantwortung für alles, was ich damit ja gar nicht anzetteln wollte, zu stehlen. Ich hatte es lediglich eilig – und die Papierserviette ist mir beim Weckerlausdemsackerlholen einfach runter gefallen. Ich habe sie nicht einmal gesehen.

Verfolgerin

So. Jetzt geht es mir besser. Und ich hoffe, dass die wutentbrannte Pelzträgerin, die mir am Donnerstag auf der Kärntner Straße vom Opera-Toilet-Aufgang bis zur Johannesgasse folgte, bevor sie mich – sagen wir mal – „ansprach“, mittlerweile auch so bemerkt hat, dass der Opernball nicht von marodierenden Horden angegriffen worden ist. Und ich ergo kein Teil derselben war.

Die Dame hatte mich nämlich gestellt. Plötzlich baute sie sich vor mir auf und hielt mir eine Serviette unter die Nase. Und fuhr mich an: Ob ich denn glaube, dass die Wiener blind wären? Und es zuließen, dass zugereiste Berufsdemonstranten aus Deutschland die Stadt verwüsteten?

Weckerl

Dann fuchtelte sie mit der Papierserviette etwa zehn Zentimeter vor meiner Nase herum. Ich hatte zwar keine Ahnung, worum es ging, aber die Serviette, nahm ich einmal an, dürfte von mir sein: Ich hatte mir bei Anker in der Opernpassage ein Weckerl gekauft. Und es auf der Rolltreppe ausgepackt. Und weil auf der Serviette in der hand der Frau ein Anker-Logo ... usw.

Aber die Pelzfrau ließ mich – mit meinem vollen Mund – gar nicht zu Wort kommen: Menschen wie ich, schnaubte sie, wären das letzte. Kämen von Deutschland nach Wien, wanderten vermummt (sie fuchtelte mit der Serviette auf meine schwarze Mütze zu) durch die Stadt um die Lage auszukundschaften – und würden dann frech inmitten des gefährdeten Raumes Markierungen hinterlassen. Für den Abend. Und für die Spießgesellen.

Komplizen

Aber da, schnaubte sie, hätten wir, also ich und meine Komplizen, die Rechnung ohne die Wiener gemacht. Denn die wären auf dem Posten. Dann fuchtelte sie ein letztes Mal mit der Serviette vor meinem Gesicht herum – und drückte mir das Papier dann in die Hand. Weg war sie. Ich hatte noch nicht einmal runtergeschluckt. Und war nur noch baff.

Ich habe die Serviette dann brav in einen Mistkübel geworfen. Vermutlich war das der Grund, warum der Opernball heuer nicht angegriffen worden ist. Oder so ähnlich. (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 2. Februar 2008)