Der Geologe Hans Egger (unten) stellt anhand von mikro-skopisch kleinen Meeresfossilien (oben) das Alter von Gestein fest. Diese aus Anthering bei Salzburg stammenden Coccolithen sind 55 Millionen Jahre alt.

Foto: GBA
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"Geologie ist alles", verkünden optisch ansprechende Plakate seit November vergangenen Jahres. Trotzdem: Wer hätte gedacht, dass Küchenutensilien eine tragende Rolle bei der Altersbestimmung von Gesteinen spielen?

Lokalaugenschein im Nannoplankton-Labor der Geologischen Bundesanstalt in Wien. Es schreibt sich wirklich "Nanno", also mit zwei "n", obwohl das eigentlich falsch ist - irgendeine historische orthografische Verwicklung, wie der Laborleiter und international renommierte Nannoplankton-Spezialist Hans Egger erklärt.

Auf der Spur von Algen ...

Egal. In jedem Fall geht es dabei um Dinge, die nur wenige Tausendstel Millimeter groß sind, im konkreten um sogenannte Coccolithen. Das sind winzige ("Nanno" eben) Kalkplättchen, die das Gehäuse von bestimmten Meeresalgen, den Coccolithophoren, bilden. Die Plättchen haben ungefähr den Durchmesser eines Haares. Die Algen selbst sind auch nicht groß: "Jeder, der schon einmal im Meer geschwommen ist, hat Millionen davon verschluckt", erklärt Egger.

Größe spielt in diesem Fall tatsächlich keine Rolle - die Masse macht's: Coccolithophoren sind die wichtigste marine Algengruppe und damit hauptverantwortlich für die Erzeugung von rund zwei Drittel des globalen Sauerstoffes sowie der Bindung von rund der Hälfte des menschlichen CO2-Ausstoßes. Doch sie können noch mehr: Es gibt sie seit rund 200 Millionen Jahren, und wo das Meer sich zurückzog, hinterließ es Gestein aus ihren Kalkplättchen. Da sie außerdem rasch immer neue Arten entwickelten, lässt sich das Alter der Gesteine daraus ablesen, welche Arten ihre Coccolithen darin hinterlassen haben. Vorausgesetzt, man kennt sich aus und verfügt über ein ausgezeichnetes Lichtmikroskop, wie Hans Egger.

Die restlichen Dinge, die zur Bestimmung notwendig sind, erhält man im gutsortierten Handel für Küchenbedarf: sehr dünne Plastikstrohhalme, die zu Eggers Leidwesen in den Regalen immer öfter den lustigen dicken mit dem Knick weichen müssen, und kleine Backförmchen aus Papier, in die man gewöhnlich Rumkugeln bettet. Nicht so in diesem Fall: Aus einem Plastiksackerl entnimmt Egger ein Stück kalkhältiges Gestein und bohrt mit einem desinfizierten Schraubenzieher hinein.

Den so entstehenden Staub schüttet er in die Konfektform und gibt destilliertes Wasser dazu. Des Weiteren stecke man einen dünnen Strohhalm in eine Pipette, ziehe einen Tropfen der Lösung auf, bringe sie auf einen Objektträger auf und trockne sie langsam (notfalls auf einer Heizplatte für Gulaschsuppen, wie es Egger in Bauhütten tut, wenn er bei einer Grabung vor Ort Altersbestimmungen vornimmt). Einbetten in Kanadabalsam, und fertig ist das Präparat. Und dank der Einwegstrohhalme und -backförmchen ist es auch frei von Verunreinigungen.

Für den Laien schaut es im Mikroskop ein bisschen aus wie ein Sternenhimmel: glänzende kleine Punkte auf schwarzem Grund. Doch beim genaueren Hinschauen wird etwas Großes, Schwarzbraunes sichtbar. Etwas Metallisches, wie der Fachmann mit einem kurzen Blick erkennt, möglicherweise sollte er sich einen neuen Schraubenzieher kaufen, der alte rostet nämlich ...

... und Dinosauriern

Eine andere Probe gewährt Einblick in eine der einschneidendsten und meistdiskutierten Epochen der Erdgeschichte: Sie zeigt hauptsächlich Dinoflagellaten, eine andere Algengruppe, und zwar in Form von Cysten, also Dauerstadien, mit denen sie schlechte Zeiten überdauern. Schlecht waren die Zeiten damals tatsächlich, handelt es sich doch um die Kreide-Tertiär-Grenze vor rund 65 Millionen Jahren, als die Saurier ausstarben.

Der Meteoriteneinschlag, der laut gängigster Hypothese dafür verantwortlich war, hat sich weltweit im Gestein niedergeschlagen und ist an zwei Stellen auch in Österreich sichtbar: Bei Russbach an der salzburgisch-oberösterreichischen Grenze und im steirischen Gams tritt ein drei bis vier Millimeter breiter, gelber Markerhorizont zutage, der von der ungewöhnlich hohen Menge Iridium stammt, das mit dem Meteoriten zur Erde gelangte.

Bei seinen Expeditionen zur Probennahme in der Salzburger Flyschzone (sie bildet den schmalen Nordrand der Ostalpen von Vorarlberg bis Wien) stieß Egger vor Jahren außerdem auf etwa zwei Zentimeter breite Aschelagen ungeklärter Herkunft. Erst nachdem er auf zahlreichen internationalen Kongressen "damit hausieren" gegangen war, traf er Kollegen, die in Dänemark und der Nordsee die gleichen Schichten gefunden hatten. Wie sich herausstellte, stammen sie aus jener Epoche vor 54 Millionen Jahren, als gewaltige Vulkanausbrüche zu einer globalen Abkühlung des Klimas führten.

All diese Erkenntnisse fließen schließlich in geologische Karten ein, deren Herausgabe die Hauptaufgabe der Bundesanstalt ist. Eine der gerade aufliegenden Karten zeigt die geologische Struktur von Gmunden. Da ist auch der Gschliefgraben drauf, der schon im 17. Jahrhundert ein ganzes Haus in den Traunsee befördert hat und derzeit wieder im Rutschen ist. Das Gebiet ist rotkariert: "tiefgreifend aufgelockerter, stark bewegter Felsbereich" sagt die Kartenlegende. Die Geologie kann also nicht nur in die Vergangenheit, sondern auch in die Zukunft blicken. (Susanne Strnadl/DER STANDARD, Printausgabe, 6.2.2008)