Hier waren der Pop und Michael Jackson selbst noch halbwegs in Ordnung: ein Fotomotiv des "Thriller"-Albums aus dem Dezember 1982.

Foto: SonyBMG
Jetzt in überarbeiteter Fassung wiederveröffentlicht, erinnert "Thriller" nicht nur den Künstler, sondern die ganze Branche an bessere Zeiten.


Wien – Dass es ein Weltkonzern wie SonyBMG nicht einmal noch schafft, diese historische Großtat rechtzeitig zu ihrem 25-Jahr-Jubiläum im Dezember 2007, sondern erst jetzt am kommenden Freitag in überarbeiteter und ergänzter Fassung auf den Markt zu bringen, beweist, dass die Musikbranche weiß Gott schon sonnigere Tage gesehen hat. Als im Dezember 1982 Michael Jackson mit "Thriller" und – heute nicht mehr vorstellbar – knausrigen neun (!!!) darauf enthaltenen Songs sein sechstes Soloalbum veröffentlichte, war die Welt noch in Ordnung.

Nicht nur, dass zur selben Zeit auch der weltweite Siegeszug der CD startete. Dieses letzte wirklich neue und den Markt umkrempelnde Tonträgerformat kurbelte den Umsatz von Musik wie auch die Gewinne aufgrund der billigeren Produktionskosten gegenüber Vinylplatten (bei selbstverständlich höher veranschlagten Endverkaufspreisen) dramatisch an. Und die mit der CD beginnende Zeit der mindestens platinenen Nasen in der Plattenbranche sorgte auch dafür, dass nicht nur Millionen von Dollar Produktionsbudgets für Studiozeiten oder Videos auf Yachten vor den Fidschi Inseln bereitgestellt wurden. Mit dem ebenfalls vor einem Vierteljahrhundert zum Höhenflug ansetzenden Musikfernsehsender MTV wurde vor allem von den USA aus dominierter Pop auch zum von wenigen Künstlern bestimmten, globalen Phänomen.

Neben der anfangs noch eher als Tanzmaus belächelten Madonna oder dem musikalisch oft etwas gar zu avantgardistisch gegen sein Publikum vorgehenden Prince war es gerade Michael Jackson mit Thriller, und gerade auch mit visuell visionären Videos wie zu "Billie Jean" oder zum Titelsong, der von Dezember 1982 an die nächsten Jahre die Musikwelt als "King of Pop" regierte – und schließlich 2001 mit dem Hundert-Millionen-Euro-Produktions- und Marketingwahnsinn seines letzten Albums "Invincible" auch deren Niedergang einleitete. Ebenso wie seine Musik bestimmten bald auch global abgehandelte private Tollereien, immer absurder werdende chirurgische Modifikationen und Vorwürfe des Kindesmissbrauchs die Berichterstattung. Bis zum Kipppunkt hinüber ins Land Nirgendwo. Angeblich lebt Michael Jackson heute völlig zurückgezogen in Dubai und hat aufgrund der Eskapaden während der vergangenen Jahrzehnte massive finanzielle Probleme. Von kreativen einmal gar nicht zu sprechen. Neue Musik, ein neues Album sind nicht einmal angedacht. Aber wen interessiert das noch?

Was von Jackson bleibt, ist neben einer exzeptionellen Karriere als vom Vater zum Erfolg geprügelter Kinderstar mit der Brüderband The Jackson Five und dem 1979 veröffentlichten, messerscharfen Disco- und Funk-Solomeisterwerk "Off The Wall" und einigen späteren guten Songs auf "Bad" (1987) und "Dangerous" (1991) vor allem eben "Thriller". Bis heute wurden davon auf diversen Tonträgerformaten offiziell 104 Millionen Einheiten verkauft. "Thriller" hielt sich 80 Wochen in den US-Top-Ten, 37 davon auf Platz eins.

Discothek des Volkes

Grundsätzlich verhält es sich bei diesen zu Tode gespielten Songs ja wie beim Werkkatalog der Beatles: Man muss das alles nicht mehr hören, weil man es jederzeit im Langzeit- oder im genetischen Gedächtnis abrufen kann. Kurz gesagt, und da braucht man vom Begriff her nicht lange herumdeuteln: Bei diesen neun nun klanglich frisch aufpolierten Liedern handelt es sich um Volksmusik im eigentlichen Sinn.

Wie jetzt nach langer Hörpause ein akustischer Rundgang durch Thriller verrät, ist das Album zwar von den Arrangements her zart gealtert. Die schmierigen Synthesizer, die billigen Handclap-Effekte und das erheblich die Nerven belastende Superkitsch-Duett "The Girl Is Mine" mit Paul McCartney klingen schon sehr arg nach nicht unbedingt noch einmal freiwillig durchlebt werden wollenden Nächten in Discotheken der 80er-Jahre.

Allerdings donnert der erstaunlicherweise zur Albumhalbzeit dramaturgisch versenkte Titelsong "Thriller" auch heute noch so zwingend über den Tanzboden wie früher. Das Gleiche gilt für "Billie Jean" und "Wanna Be Startin‘ Somethin‘", zwei Stücke, in denen man laut Stephen Thomas Erlewine von der Internetdatenbank Allmusic.com tatsächlich schon eine Ahnung davon bekommt, wie stark der Verfolgungswahn noch Jacksons Leben bestimmen sollte.

Die musikalische Eleganz dieser Lieder verdankt sich, man denke auch an das damalige stilistische Wagnis, in "Beat It" afroamerikanischen Disco-Sound mit einem weißen Metal-Gitarrensolo von Eddie Van Halen zu verbinden, eindeutig dem Produzenten.

Der eigentlich vom Jazz kommende Quincy Jones definierte hier knapp 50-jährig, also eigentlich nicht mehr unbedingt für Innovationen gebucht, nach den Stücken von "Off The Wall" auch hier wieder eine mit ganzen Busladungen von Musikern inszenierte Breitwand-Vision von globalistischem Konsenspop. Der sollte die nächsten Jahre jedwede kommerzielle Deutung von Pop entscheidend prägen, bot aber in seinen Feinheiten, vor allem auch dem fantastischen Zusammenspiel von Rhythmusgitarre, Bass und Schlagzeug und den Streicherarrangements Stoff sogar für fortschrittlichere Hörer.

De facto allerdings ist ein Album derartiger Dimensionen heute tatsächlich als rein historisch zu betrachten. Sei es von den sagenhaften Verkaufszahlen, der größenwahnsinnigen Produktion und dem nicht wiederholbaren Hype beim Publikum her: "Thriller" ist Geschichte. (Christian Schachinger / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7.2.2008)