Foto: Cremer
Die Zahl der täglich produzierten Fotos ist im Laufe verschiedener technischer und kommerzieller Neuerungen jeweils um vielleicht eine Zehnerpotenz größer geworden. Von den Platten- zu den Kleinbildkameras, von Roll- zu Patronenfilmen und zu Kassetten, schließlich zu Pixeln: Jetzt, wo sich eine permanente Flut von beliebig transformierbaren Nullen und Einsen durch alle digitalen Kanäle ergießt, kann man die Idee einer originären Leistung und eines Ursprungs, etwa in Form eines nachweisbaren Negativs, endlich einmal aufgeben.

Oder man kann sie unvermindert einfordern. Das tun die Herausgeber von Photo Art, einem schwergewichtigem Softcover, das sich der künstlerischen Fotografie im 21. Jahrhundert widmet. Anhand von 112 subjektiv ausgewählten Beispielen wollen Uta Grosenick und Thomas Seelig die Positionen verdeutlichen, die das Medium Fotografie einzunehmen imstande ist.

Die grundsätzlichen Fragen, sagen sie, seien einerseits gleich geblieben (Woher kommen wir usw.). Die Antworten hätten sich geändert, die technischen Möglichkeiten würden immer unterschiedlichere Darstellungsformen zulassen, natürlich auch hybride. Was man anhand der jeweils ein bis drei Seiten, die jedem der 112 gewidmet sind, nachvollziehen kann. Da wechseln sichTrickspiele mit strenger Dokumentation ab, auf übermalte Werbesujets folgen inszenierte Sozialreportagen, auf altmodisch anmutende Akte Momente des Privaten (im Bild oben ein Foto von Tashi Homma aus der Serie "Tokyo and My Daughter").

Eine Struktur in die ansonsten nur chronologische Folge bringt der Essay des Schweizer Kunstdozenten und Ausstellungsmachers Paolo Bianchi. Er unterscheidet die Bildtypen Imagination, Emotion, Erinnerung, Assoziation und Sensation. Das Netz lässt sich gut über die Zusammenschau legen. Auch das 30-seitige Glossar dient der Lesbarkeit der Bilder. Ob es allerdings einzigartig ist, wie das Vorwort festhält, sei dahingestellt, ebenso ob sich der Band bereits zum unverzichtbaren Standardwerk erheben darf. Ein Nachschlagewerk für die Fotokunstszene ist er allemal. (Michael Freund, ALBUM/DER STANDARD, 09./10.02.2008)