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Neu und noch besser sollte die Strafprozessordnung durch die Reform werden. Der Übergang von Alt auf Neu gestaltet sich aber schwieriger als erwartet. Technische Probleme und Personalmangel sorgen seit dem 1. Jänner für einen holprigen Start.

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Die Reform der Strafprozessordnung läuft mühsamer als erwartet. Die Justiz gesteht Anlaufschwierigkeiten ein, beteuert aber, dies liege nicht an mangelhafter Vorbereitung. Bereits ein Monat nach dem Start gibt es Novellierungswünsche.

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Schlendert man dieser Tage durch die langen Gänge des Wiener Landesgerichtes, können einem ungewöhnlich gut gekleidete Aktenboten begegnen. Die Anzugsträger, die Wägelchen mit angehängten Taschen voller Papiere herumrollen, machen das auch nicht hauptberuflich - es sind Staatsanwälte, die seit 1. Jänner mehr Macht und auch mehr Arbeit haben (siehe Kasten rechts unten). Der Aktentransport ist dabei ein eher ungewollter Nebeneffekt. Denn in den vergangenen Jahren wurde die Zahl der Büroboten reduziert - durch die Reform der Strafprozessordnung (StPO) ist allerdings der Bedarf für Papiertransport zwischen den verschiedenen Gerichtsstellen drastisch gestiegen.

In der größten Anklagebehörde Österreichs ist man insgesamt dennoch zufrieden mit der Neuordnung des Vorverfahrens, wie Sprecher Gerhard Jarosch sagt. Allerdings: "Der Übergang ist irrsinnig problematisch", gesteht er ein. Derzeit macht vor allem die technische Schnittstelle zwischen Polizei und Justiz Schwierigkeiten. "Die Grundidee war der elektronische Akt, bei dem die Polizei einmal die Daten in den Computer eingibt, die dann bei uns nutzbar sind. Das funktioniert bisher nicht richtig, ich hoffe aber, dass es relativ bald so weit ist."

Neue Kommunikationswege

Länger wird es dauern, "die Kommunikationswege neu zu lernen", fürchtet der Jurist. Denn die Tatsache, dass die Staatsanwälte nun die "Herren des Verfahrens" sind, hat auch neue Protokolle, Aktenläufe und Dienstwege zur Folge. "Es gab zwar Schulungen, aber in der Praxis ist es dann doch anders. Man muss ja bedenken, das sich über die Jahrzehnte bestimmte Sachen eingebürgert haben. Jeder Staatsanwalt, Richter und Verteidiger wusste ja, wo er in einem Akt was findet und wo er nachschauen muss." Mindestens ein halbes Jahr werde es dauern, bis alle Beteiligten wieder diese Routine bekommen.

Die Stärkung von Opfer- und Beschuldigtenrechten sieht Jarosch positiv, dennoch sieht er gerade in diesem Bereich Änderungsbedarf. "Teilweise wurde dabei auf das Augenmaß vergessen", befindet Jarosch. Zum Beispiel bei der Gutachterbestellung: Die Parteien müssen mittlerweile davon informiert werden, welche Gutachter in ihrem Fall von der Staatsanwaltschaft ausgesucht worden sind und können dagegen Einspruch erheben. "Wir müssen diese Briefe aber auch bei Massendelikten, wie Verkehrsunfällen mit Körperverletzung, aussenden. Die Betroffenen wissen dann gar nicht, um was es eigentlich geht, und in 99 Prozent der Fälle gibt es auch keine Einsprüche", merkt er an.

Bei der "Vereinigung Österreichischer StrafverteidigerInnen" wiederum ist man über die Reform ziemlich gespalten. "In unserer Vereinigung gibt es keine einhellige Meinung", gibt Sprecher und Rechtsanwalt Richard Soyer zu. "Die eine Gruppe hält sie für grundsätzlich sehr gelungen mit einigen Einschränkungen. Andererseits gibt es eine Gruppe, die die Reform als katastrophal bezeichnet."

Für die Befürworter ist die klarere Rollenverteilung einer der wesentlichen Pluspunkte. Dass es "eine gewisse Zeit braucht, bis sich eine derart große Reform einspielt", ist für Soyer, der sich selbst zu den Reformbefürwortern zählt, nicht ungewöhnlich. Ein Wermutstropfen sei aber die zu weit gehende Einschränkung der Verteidigerrechte. "Einerseits ist es absolut begrüßenswert, dass Verteidiger nun das Recht haben, schon bei der ersten Beschuldigtenvernehmung anwesend zu sein. Andererseits gibt es noch zu viele Möglichkeiten, sie davon auszuschließen." Er hofft aber auf eine Novellierung, die diese aus seiner Sicht existierende Lücke schließt.

Phalanx mit Polizei

Die Reformgegner unter den Strafverteidigern vermissen dagegen die Rolle des Untersuchungsrichters. Ihre Sorge: Staatsanwaltschaft und Exekutive werden viel zu eng kooperieren, ein Beschuldigter steht einer Phalanx von Rechtsstaat und Polizei gegenüber. "Vor allem geht die Reform an den praktischen Bedürfnissen der Beteiligten vorbei", schildert Soyer die Meinung seiner Kollegen. "Wir werden es auch eingehend bei dem nächsten ,StrafverteidigerInnentag' im März besprechen."

Bei der Richtervereinigung gibt man sich nach den ersten sechs Wochen noch vorsichtig mit einer Einschätzung. Präsident Werner Zinkl sieht aber zwei wesentliche Problemfelder: die Kommunikation und den Personalmangel.

"Zum Beispiel stand erst am 25. Jänner erstmals ein unkommentiertes Gesetzbuch mit den neuen Bestimmungen zur Verfügung. Es ist zwar argumentiert worden, dass die Paragrafen ohnehin im Internet abrufbar seien, aber in Papierform ist es für viele praktischer", argumentiert Zinkl. "Dazu gab es ja auch bei vielen anderen Gesetzen Änderungen, die derzeit in Kraft treten. Die wurden übrigens alle ohne Begutachtung beschlossen, da hätte ich mir vom Justizministerium schon mehr Information erwartet."

Aus Sicht der Richterschaft sei die Reform in jedem Fall "personell grenzwertig", merkt der Standesvertreter an. Die noch immer nicht ganz abgeschlossene Aufstockung der Staatsanwaltschaften gönnt Zinkl seinen Juristenkollegen zwar, den Gerichten habe man aber Posten weggenommen. Das führe jetzt zu Problemen. Für Zinkl drängt sich jedenfalls der Verdacht auf, dass die Vorbereitungen nicht ideal waren. (Michael Möseneder/DER STANDARD, Printausgabe, 12.2.2008)