Jeweils montags und donnerstags eine Stadtgeschichte Thomas Rottenberg

Es war vergangene Woche. Da bin ich dem Rummel um Haaresbreite entkommen. Und auch wenn der Preis, respektive die zutreffende Ausrede, der Anflug eines grippalen Infarktes war hat mich das gar nicht so sehr gestört: Die Falco-Todesfestspiele habe ich komplett versäumt. Gut so.

Obwohl ich mich durch mein Fernbleiben von Filmpremiere, Buchpräsentation, CD- & DVD-Präsentation, Falconächten und Plexiglasgrabstein um eine einmalige Gelegenheit gebracht habe: Ich hätte in die eine oder andere Kamera – oder dem einen oder anderen Menschen, der schon einmal im Fernsehen zu sehen war den Tod des guten Hansi H. öffentlich bewehklagen können. Und – natürlich auf gar keinen Fall so, als ob ich mich damit in den Vordergrund drängeln wollte – ein wenig darüber räsonieren können, wie sehr mir mein persönlicher, guter Freund H. fehle.

Bescheiden

Dann wäre ich – natürlich nur auf Nachfrage – peu á peu damit rausgerückt, wie gut ich den H. gekannt hätte. Wie nah wir einander waren. Dass ich sogar seine Wohnung betreten hätte. Und was für ein loyaler Freund ich doch sei, mit all dem, was ich wisse, eben nicht hausieren zu gehen: Von mir würde keiner Details erfahren. Das sei das Mindeste, was ich meinem Kumpel schulde. Mit ein paar Andeutungen und dem Hinweis, dass man ja den XY fragen könnte, wäre ich dann – umstrahlt von neuem Ruhm – zurück ans Buffet geeilt.

Das beste daran: Um so anzugeben, hätte ich nicht einmal lügen müssen. Obwohl Falco selbst mich nie als „Freund“, „Bekannter“ oder wasauchimmer identifiziert hätte: Herr H. konnte sich ziemlich sicher schon Jahre vor seinem Tod – also Sekunden, nachdem wir einander über den Weg gelaufen waren - nicht mehr an mich erinnern. Aber das ist nicht beweisbar. Das – und dass ich bei den „Treffen“ immer denselben Kumpel dabei hatte – macht sich heute eben bezahlt.

Klette

XY war damals so was wie mein Schatten. Er war loyal, nett und nicht besonders vif. Das wusste er – und lachte darüber. Weil er aber unbedingt überall dabei sein wollte, hing er an meinen Hufen. Das schmeichelte mir. Und weil er von seinem Vater ein paar Patente, ein Firmengeflecht und Latifundien geerbt hatte, bezahlte er gern. Darüber hinaus war er maßlos leicht zu beeindrucken.

Irgendwann saßen wir im alten U4 und waren dermaßen cool, dass wir natürlich nicht bemerkten, dass der Herr, der die Welt noch besser ignorierte als wir, Falco war. Falco zeigte auf meine Zigarettenpackung. Ich schob sie ihm rüber. Und gab ihm Feuer. Wortlos. Eine halbe Stunde später schnorrte ich mir einen Tschick von ihm. Wieder wortlos. Und noch eine halbe Stunde später hob Falco sein Glas in meine Richtung und sagte etwas, das ich im U4-Lärm mit „Oida, i sog da: de Weiba ...“ übersetzte. Ich nickte wissend. Das war alles.

Mythenbildung

XY war dann völlig aus dem Häuschen und erzählte jedem, der es nicht hören wollte von diesem Treffen. Eine Woche später klang die Geschichte so, als hätten zwei alte Kumpane eine Nacht lang über die Welt, die Liebe und die Frauen philosophiert. Verstärkend kam hinzu, dass wir Falco ein paar Tage später wieder über den Weg gelaufen waren. In der Bluebox, dem – damals & angeblich – coolsten Lokal der Stadt. Ich stand neben Falco am Klo. Und er machte mir beim Händewaschen Platz. Weil die Papierhandtücher an der falschen Wandseite hingen. XY war vollkommen fertig, als er uns gemeinsam aus dem Klo kommen sah.

Da weder Falco noch ich schwul sind oder waren, konnte das nur eines bedeuten. Und obwohl XY wusste, dass ich kein Kokser war, war ich fortan der Mann, den Falco sogar beim Schneepflugfahren an seiner Seite wissen wollte. Ich tat natürlich nichts gegen diesen Ruf. Ab und zu dementierte ich. Nicht einmal halbherzig – aber ich hätte mir selbst ja auch ganz gerne nicht geglaubt.

Wohnungsbesichtigung

Später war ich dann in Falcos Wohnung. Jedenfalls war das auf der Einladung gestanden. Nur: vor Ort fand es niemand der Mühe wert zu erläutern, dass Falco nie hier gelebt hatte. Die Wohnung war – angeblich – als Nest für ihn und seine Familie geplant gewesen war, bis sich herausgestellt hatte, dass seine Tochter nicht seine Tochter sei. Oder so ähnlich. Das erzählte man mir später. Denn der einladende Grenztschickhandelsunternehmer, der – nach Falcos Tod – das (angeblich sogar unmöblierte) Appartement gekauft hatte und daraus die grauenhafteste Post-New-Wave-Kitschorgie, die ich je gesehen hatte (u.a.: eine gitarrenförmige Neonröhren über einem Fake-Kamin, ein weißer Flügel, der auf Knopfdruck spielte und die Tasten bewegte, Spiegel-Poster-Mosaikbilder an den Wänden, etc ...) gemacht hatte, hatte das natürlich nicht erwähnt: Er hatte ins Falco-Penthouse gebeten, um eine Bilgeri-Single zu präsentieren.

Egal. Denn in den Erzählungen von XY verwoben sich meine drei Falco-Erlebnisse über die Jahre zu einem kompakten Privatmythos. Und weil XY ein enger Freund von mir war, rutschte er irgendwann selbst in diese Erzählungen hinein. Manchmal war ich selbst fast so weit, sie zu glauben. Aber leider habe ich die Chance, aus den Mythen genau jetzt, zu Falcos Todestag, belegte Geschichte zu machen, versäumt.

Dabei wäre es leicht gewesen: XY und meine Wege liefen irgendwann auseinander. Er verwaltet und mehr nun das Familienvermögen. Deshalb sieht man ihn bei manchem Event in der Runde illustrer, wohlhabender Gäste. Auch in den Berichten rund um Falcos Todestagesfeiern sah ich ihn in der zweiten oder dritten Reihe. Meine Anmerkungen hätte er unter Garantie bestätigt. Und um das ergänzt, was er damals selbst in die Zufallstreffen hineininterpretiert hatte. Ein bisserl tut es mir um diese vertane Chance ja sogar leid. Aber nicht sehr: In ein paar Jahren sind ja wieder Falco-Festspiele.