Weiße Hemden als Uniform - Schüler als Machtspielzeug. Schauspieler Jürgen Vogel überzeugt als Lehrer, dem die Kontrolle über den radikalen Schulversuch entgleitet.

F.: Constantin Film

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Dennis Gansel (35) wurde mit "Mädchen Mädchen!" und "Napola" bekannt, wofür er 2005 den Bayerischen Filmpreis erhielt.

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SchülerStandard: Für wie realistisch halten Sie Ihren Film?

Gansel: Ich glaube, er ist sehr realistisch. Sehen Sie, das Experiment fand vor 40 Jahren statt. Heutzutage denkt man bereits, die Gesellschaft sei viel zu aufgeklärt, als dass eine Diktatur erneut möglich sei. Aber man muss ja nicht politisch denken. Was passiert, wenn man alle eine Uniform tragen lässt? Wenn jedem eine bestimmte Rolle zugeteilt wird? So langsam bekamen diese Vorstellungen, die im heutigen Deutschland möglich wären, faschistische Züge. Ich finde, dass die "Welle" sehr verführerisch rüberkommt.

SchülerStandard: Aber ist nicht jede Bewegung so ähnlich aufgebaut? Wo liegt Ihrer Meinung nach der Unterschied?

Gansel: In den Inhalten. Auch die Antiglobalisierungsbewegung, die ich unterstütze, oder Jugend-Politbewegungen funktionieren nach dem gleichen oder ähnlichen Prinzip wie die Welle. Gruppendynamische Phänomene laufen nun mal alle gleich ab. Das ist nur menschlich. Entscheidend ist, wofür man sich einsetzt.

SchülerStandard: Wieso glauben Sie, meinen viele heutzutage, dass eine Diktatur nicht mehr möglich sei?

Gansel: Weil man in dem Glauben lebt, davor gefeit zu sein. Man schiebt einfach den Gedanken weg, auf den Faschismus und den Mechanismus dahinter hereinzufallen.

SchülerStandard: Sind junge Menschen des Themas Nationalsozialismus überdrüssig?

Gansel: Das ist zumindest meine Erfahrung. Ich erinnere mich an die gelangweilten Reaktionen, als es hieß, das Abiturthema sei Faschismus. Erst nach dem Film "Schindlers Liste" hatte ich einen emotionalen Bezug zur deutschen Geschichte. Er hat mich auf eine Ebene gebracht, wo mich die theoretischen Quellenstudien nie erreichen konnten. Das ist der Punkt, man müsste pädagogisch gesehen anders an das Thema herangehen.

SchülerStandard: Halten Sie den Film "Die Welle" für ein geeignetes Präventivmittel gegen eine zukünftige "Welle"?

Gansel: Ich denke schon, wobei ich mir wünsche, dass sich der Film gleichzeitig an ein jugendliches Publikum wendet und Fragen aufwirft.

SchülerStandard: Der Film spielt in einer wohlhabenden Gegend, in der die Menschen gut ausgebildet und nicht von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Wäre es nicht wahrscheinlicher, dass eine faschistische Bewegung in sozial schwächeren Gebieten aufkommt?

Gansel: Das ist es, was man denkt, und genau darin liegt die große Gefahr. Es ist interessant, dass man immer meint, den anderen passiere so etwas und nie einem selbst. Man schiebt es auf die anderen, die weniger gut ausgebildeten oder die Ostdeutschen usw. Aber im Dritten Reich war der Hausmeister genauso von der Bewegung fasziniert wie ein Intellektueller.

SchülerStandard: Wie erklären Sie sich das?

Gansel: Das System des Faschismus ist für alle anziehend. Im Film sagt der Lehrer (Jürgen Vogel, Anm. d. Red.) Dinge, bei denen ich mich anfangs frage, wozu die Aufregung? Oder eine Uniformierung innerhalb einer Gruppe zum Beispiel. Wenn man jemanden in einer weißen Bluse und einer Jeans sieht, wirkt es unauffällig. Aber wenn sie alle zusammenkommen, wirkt das aggressiv und womöglich bedrohlich.

SchülerStandard: Haben Sie mit dem eigentlichen "Lehrer", Ron Jones, gesprochen?

Gansel: Ja. Rückblickend meint er, sei die Erotik der Macht das Schlimmste gewesen. Nach dem vierten Tag hat er es genossen, wenn alle seinen Namen gerufen haben, wenn er bewundert wurde. "Es wäre gelogen, wenn ich sage, dass es mir nicht gefallen hat", hat er gemeint. Obwohl er ein liberaler Typ ist, ein Hippie, der damals in einem Baumhaus gewohnt hat.

SchülerStandard: Sie haben das Ende des Films geändert, es kommt zu einem Amoklauf. Warum?

Gansel: Wenn man in einer Traumwelt lebt, findet man das Ende unrealistisch, aber für mich war das passender für die heutige Zeit. Andererseits wollte ich keine Dokumentation über das Originalexperiment machen, sondern die Prämisse des Experimentes in die heutige Zeit verlagern. Der Film ist keine Adaption, der Anfang, die Leute, und die Dialoge sind völlig anders. (Bath-Sahaw Baranow und Ana-Marija Cvitic /DER STANDARD Printausgabe, 12. Februar 2008)