Der Bohrturm auf der "Chikyu" ist 130 Meter hoch. Damit kann sieben Kilometer tief in den Meeresuntergrund gedrillt werden. Die neuen Bohrungen sollen Aufschlüsse über die Entstehung von Erdbeben bringen.

Foto: Jamstec
Im Hafen der japanischen Kleinstadt Shingu herrscht Hochbetrieb. Kamerateams wimmeln über die Mole. Container krachen auf den Beton. Und an Bord eines Schiffsriesen an der niedrigen Kaimauer packen Wissenschafter ihre Koffer. Das größte Tiefseebohrschiff der Welt, die "Chikyu" (auf deutsch: Erde), hat gerade seine erste Bohrmission zur Erforschung der Erde abgeschlossen.

"Chikyu" ist ein Forschungsschiff der Superlative: 210 Meter lang, 38 Meter breit, inklusive Bohrturm 130 Meter hoch und fähig, aus 2500 Meter Meerestiefe weitere sieben Kilometer in die Erde zu bohren - so tief wie kein anderes Schiff.

Aufregende Jungfernfahrt

Die Forscher an Bord sind begeistert. "Die ,Chikyu' ist wundervoll", schwärmt Daniel Curewitz, der als Projektmanager der japanischen Behörde für Meeres- und Erdwissenschaft und -technik (Jamstec) das Leben an Bord organisiert hat. Für eine Jungfernfahrt sei alles erstaunlich glattgelaufen. Und Elizabeth Screaton von der University of Florida, die wissenschaftliche Ko-Leiterin einer der drei Bohrmissionen, meint: "Ich bin schon auf fünf Tiefseebohrungen gewesen, aber diese ist am aufregendsten."

Dies hat zum einen mit der Lage der Bohrung zu tun. Seit September 2007 drillte die "Chikyu" im Rahmen des internationalen Programms für integrierte Ozeanbohrung (IODP) vor der Küste Japans und brachte Bohrproben aus einer der gefährlichsten Erdbebenzonen der Welt mit nach Hause. Hier in der Nankai-Region südwestlich der Millionenstadt Nagoya schiebt sich die philippinische Platte unter die Festlandplatte und löst dabei Erdbeben der Stärke 8 und Tsunamis aus.

Einer der wertvollsten Schätze ist eine Bodenprobe aus der Bruchzone, wo die beiden Platten in mehr als 1000 Meter unter dem Meeresboden aneinanderreiben. Durch die Untersuchung der Bodenproben wollen die Forscher die Entstehung von Erdbeben besser verstehen.

Zum anderen hat die "Chikyu" als erstes Bohrschiff einen Computertomografen an Bord. So können die Forscher die Bohrkerne erst dreidimensional durchleuchten und studieren, bevor sie sie öffnen. Damit vermeiden sie, wichtige Strukturen zu zerstören.

"Ich kann nicht genug betonen, wie sehr der Computertomograf die Arbeit für uns verändert hat", sagt Screaton, "ich frage mich, wie viele Bruchzonen wir früher übersehen haben, als wir die Proben noch gleich geöffnet haben." Die Verwerfungen selbst bestehen zwar aus zig Metern zerstoßenem Gestein, aber die Grenze zwischen den Platten ist oft nur wenige Millimeter dick.

Leben im Erdmantel

Darüber hinaus hielt die Erde für die Forscher eine besondere Überraschung bereit, verrät Projektmanager Curewitz: Leben im Erdmantel. Er selbst wäre erst skeptisch gewesen, ob sie Mikroben im Gestein finden würden. "Aber wir haben einige sehr interessante Funde", meint Curewitz. "Ich kann nicht viel sagen. Aber einer unserer Forscher ist sehr aufgeregt und hat mich gebeten, den Mund zu halten."

In den kommenden Monaten und Jahren werden nun Wissenschafter auf der ganzen Welt die kilometerlangen Bohrproben genau analysieren. Die "Chikyu" wird währenddessen immer tiefer in die unerforschten Tiefen des Erdmantels vorstoßen. In der Stufe zwei des offiziell NanTroSEIZE (Nankai Trough Seismogenic Zone Experiment) genannten Projekts soll sie sich in bis zu 3500 Meter Tiefe vorbohren. Für die dritte Stufe ist geplant, 6000 Meter tiefe Löcher zu drillen und ein Überwachungssystem in den Mantel hinunterzulassen. Im letzten Schritt sollen die Melder in den Löchern an ein Glasfaser-Messnetz ab Meeresboden angeschlossen werden.

Den neuen Besatzungen stellt der zweite wissenschaftliche Leiter, der Japaner Gaku Kimura, zwar große Abenteuer, aber auch Entbehrungen in Aussicht. "Die Arbeit ist großartig, leider ist die ,Chikyu' ein trockenes Schiff." Alkohol ist an Bord strikt verboten. Die Besatzung konnte nicht einmal zu Silvester auf das neue Jahr anstoßen. (Martin Köllig aus Shingu/DER STANDARD, Printausgabe, 13.2.2008)