Spitzenkandidat Seyfi Öztürk will die WählerInnen mit Hilfe des Netzwerks, das die Migranten in den letzten Jahrzehnten in Österreich aufgebaut haben, mobilisieren: "Wir sind ein halbes Jahrhundert hier in Österreich. Wir kennen einander."

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Öztürk über den Grund seiner Kandidatur: "Man hat uns aber immer nur ausgenutzt und uns nie mitspielen lassen. Nur dann wenn man uns gebraucht hat."

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"Wir verfolgen die Entwicklungen in den letzten dreißig Jahren und sind nicht zufrieden mit der Sachlage." Seyfi Öztürk ist Spitzenkandidat der "Liste für unser Niederösterreich", die bei den Landtagswahlen in Niederösterreich am 9. März antritt. Hauptmotivationsfaktor für die Kandidatur des 38-jährigen kaufmännischen Angestellten: Es gebe viele "super-tolle" Gesetze, diese würden aber nicht umgesetzt. "Wir Migranten haben kein Mitspracherecht im politischen Prozess. Wenn man über unsere Zukunft spricht, haben wir nicht das Recht mitzureden, da sind wir plötzlich uncool und nicht gefragt", beklagt sich Öztürk, der im Bezirk Baden zuhause ist.

250 Unterstützer

Auf Landesebene ist er sich "sicher", die 4-Prozent-Hürde zu schaffen und in den Landtag einzuziehen. Bei den Unterstützern seiner Liste, auf der insgesamt 12 Menschen kandidieren, handle es sich um "in Österreich lebende Österreicher mit Migrationshintergrund", die sich benachteiligt fühlen und deswegen mitmachen.

Kopfzerbrechen bereitet Öztürk einzig das Problem, ob die WählerInnen die Stimmen "richtig abgeben und ausfüllen" werden: "Viele kennen sich da nicht aus aber diese Aufklärungsarbeit werden wir übernehmen." Trotz dieser "Schwierigkeiten" glaubt er, dass die Menschen seine Liste aus Überzeugung wählen werden. Die Wahlbeteiligung wird in seiner Zielgruppe der "neuen Österreicher" mit Migrationshintergrund höher sein als bisher, ist er überzeugt. Mobilisieren will er die WählerInnen nicht mit Plakaten ("Wir machen keinen Wirbel"), sondern mit Hilfe des Netzwerks, das die Migranten in den letzten Jahrzehnten in Österreich aufgebaut haben: "Wir sind ein halbes Jahrhundert hier in Österreich. Wir kennen einander."

Keine Moslempartei

Klar distanzieren will sich Öztürk von der Bezeichnung "Moslempartei", der in den letzten Tagen in den Medien kursiert sei. "Darüber sind wir nicht erfreut. Wir gehören weder zu rechts noch zu links, sind weder Moslems noch Christen, noch Atheisten. Wir sind offen für alle."

Als "armselig" bezeichnet er die Parteien BZÖ und FPÖ, die aus seiner Sicht mit den Ängsten der Leute spielen: "Einige Provinz-Möchtegern-Politiker beschimpfen uns und wollen davon profitieren. Wir wollen dieser hetzerischen Politik eine Absage erteilen und wollen uns die 'Migranten-Raus'-Politik nicht mehr gefallen lassen."

Mit den übrigen Parteien hofft man, kooperieren zu können. Die Kommunikation bezeichnet Öztürk als "super", obwohl er enttäuscht ist, dass ihm noch keine Partei angeboten hat, auf ihrer Liste zu kandidieren, obwohl er seit 15 Jahren Integrationspolitik betreibt. So habe er auf Gemeindeebene in Zusammenarbeit mit anderen Parteien Deutschkurse organisiert oder nach 9/11 Aufklärungsarbeit in Schulen geleistet. "Man hat uns aber immer nur ausgenutzt und uns nie mitspielen lassen. Nur dann wenn man uns gebraucht hat."

Integrationsexperten: "Richtige Richtung"

Integrationsexperten beurteilen die Kandidatur der Migrantenliste positiv. Franjo Steiner vom Interkulturellen Zentrum sieht die Kandidatur der Liste als "ersten Schritt in die richtige Richtung um den Integrationsprozess anzukurbeln."

Gefahr der Ghettoisierung sieht er keine, sondern er beurteilt es positiv, dass die "Gruppierungen" Stellung beziehen können. Gefährlich würde es erst, wenn Bipolarität entsteht: "Wenn das 'Sie gegen Wir' verfestigt wird", erläutert der Migrationsexperte.

Solange das nicht passiert, sei es ein erster Schritt, der "große Chancen" für die Migranten bietet. Vor allem weil "in den letzten Jahren die Parteien die Gruppierungen nicht beachtet haben und diese kein Sprachrohr hatten."

Dieser Meinung ist auch Integrationsexperte Bernhard Perchinig von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Er glaubt, dass die Liste antritt, weil sich die anderen Parteien in den letzten Jahren "nicht für die Migranten geöffnet" hätten. (Rosa Winkler-Hermaden, derStandard.at, 14.2.2008)