Der mit einem Staatspreis ausgezeichnete Sessel "Links" von Robert Rüf verschlingt sich förmlich mit seinen Artgenossen.

Foto: www.robertruef.com
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Peter Zumthor hat's erfasst. Zwar nicht sofort, aber dann doch. Wie eine Katze schleicht der Schweizer Toparchitekt um einen großen Holztisch des Designers Robert Rüf. Eine Tafel, die die Jury, deren Vorsitzender Peter Zumthor ist, schon aus der Wertung des Wettbewerbs "handwerk und form" genommen hatte.

Mit der Handfläche streicht er sanft über die in alter Bauernmöbel-Manier abgeflachten Kanten der schlanken Tischplatte. Der Tisch hat nullkommanix gemein mit den protzig-klotzigen Küchentischen, die gerade noch so schwer wie trendy waren. Zumthors vorgeschobene Unterlippe signalisiert Respekt. Seine Brille zwickt die Nasenspitze, während er unterm Tisch hockt und die gut durchdachte, einfache Konstruktion der in der Mitte überkreuzten Tischbeine studiert. Der Architekt weiß noch nicht genau warum, aber er bittet die anderen Juroren, den Tisch wieder in die Wertung des Wettbewerbs aufzunehmen. Am Ende des Tages wird Robert Rüf für das gute Stück aus Buchenholz ausgezeichnet werden. Im ersten Durchgang ist das Möbel schlichtweg in der Masse der eingereichten Objekte untergegangen.

Die Geschichte ist bezeichnend für die Arbeiten des Absolventen der Wiener Universität für angewandte Kunst. Rüfs Objekte, dazu gehören einige Möbel, ein bisschen etwas an Verpackung, eine Leuchte, ein Wasserglas, schreien nicht. Sie signalisieren Ruhe und Bescheidenheit. Sie überraschen. Aber - zuerst wollen sie kennengelernt werden.

Robert Rüf sitzt im Besprechungszimmer einer Bürogemeinschaft in der Wiener Mariahilfer Straße. In den kleinen Räumen rund um dieses Zimmer arbeitet er mit Grafikdesignern und den zwei Gestalterinnen Marie Rahm und Monica Singer von "Polka"-Design. Es ist still. Kein Telefon. Keine Stimmen. Nicht einmal eine Kaffeemaschine röchelt vor sich hin. Akustisch wird dem Besucher nur das Geräusch eines Löffels, der im Nebenzimmer eine Schüssel ausschabt, in Erinnerung bleiben. Und natürlich die Stimme Robert Rüfs. Eine ruhige Stimme, die mindestens ein Wort pro spärlichem Satz in Bregenzerwälder Dialekt erklingen lässt. Seine Art zu sprechen erinnert an die wohlmeinenden Worte eines Seelsorgers, dabei sorgt sich Rüf in erster Linie darum, die richtigen Worte für seine Arbeit zu finden. Der Zuhörer kommt dabei in Versuchung, dem Designer zu unterstellen, dieser frage sich, zu welchem Zweck er dies überhaupt tun solle.

Küken oder Jungstar der heimischen Gestalterszene?

Robert Rüf, Küken oder Jungstar der heimischen Gestalterszene? Die Röte treibt ihm beides ins Gesicht. Der Designer bewegt sich irgendwo dazwischen. Fürs Küken spricht sein Alter von 26, für den Jungstar eine Liste an Ausstellungsbeteiligungen und Preisen bis hin zu einem Staatspreis (Förderungspreis für Experimentelles Design, 2007). Den kassierte er für seinen Sessel "Links". Dessen Sitzteil ist aus Kunststoff, die Edelstahlbeine sind zart geschwungen und lassen sich über einen Mechanismus, der in der Form versteckt und doch stilbildend ist, mit anderen seiner Artgenossen verbinden.

Nur wenige seiner Produkte gingen bisher in Serie, und auch da ist die Auflage eher bescheiden. Aber wohl jeder, der gelegentlich einen Ausflug in die österreichische Designerlandschaft unternimmt, kennt ihn. Szenetopografisch betrachtet ist der aus Alberschwende im Bregenzerwald stammende Rüf in dieser Landschaft kein reißender Fluss, schon gar kein schroffes Felsmassiv. Aber was dann? Und warum konnte er in relativ kurzer Zeit all die Auszeichnungen abstauben? "Hm", hört man. Rüf nippt an seinem Tee. Und ein wenig rot wird er auch wieder. Fast beschleicht einen beim Insistieren auf eine Antwort ein schlechtes Gewissen. "Das müssen Sie die Jury fragen", drückt er herum und tritt nach neuerlichem Schweigen schließlich doch die Flucht nach vorn an: "Die Arbeiten sind wahrscheinlich nicht so schlecht". Man spürt, Rüf sagt dies nur, weil er dazu irgendetwas sagen sollte, aber nicht wirklich wollte. Und schon gar nichts Unbescheidenes.

Letztendlich sprechen seine Objekte sowieso für sich selbst, wenn auch so ruhig wie ihr Gestalter. Lässt man sich auf sie ein, kommen sie so leicht wie Schnee daher. Zum Beispiel in Form seiner Weihnachtsbeleuchtung für die Meidlinger Hauptstraße in Wien. In ihrem Fall verbündete sich der Gestalter mit Dendriten. Was nach einer wilden Mischung aus Klingonen und Weltraumdruiden klingt, bezeichnet strauchartige Kristallstrukturen, wie sie zum Beispiel die gemeine Schneeflocke aufweist. Aus einem hexagonalen Kern wachsen Strukturen in sechs Richtungen und verästeln sich in einem Winkel von jeweils 60 Grad. Klingt kompliziert, geht aber von einem einfachen Grundmodul aus, das erst durch Aneinanderreihung zu einer Art komplexen Netzstruktur wird. Die wächst sich in Rüfs Falle zu Lichterlandschaften über der Straße aus. Durch manche Arbeiten Rüfs zieht sich dieser Grundgedanken wie ein roter Faden.

Die Qualität seiner einfachen Formensprache korrespondiert mit der Qualität seiner Details, die er in konstruktiven Kniffen so gut versteckt, dass gerade sie es sind, die am Ende seinen neuen, reduzierten, aber keineswegs langweiligen Stil funktionieren lassen. Nicht selten multipliziert er wie bei der bereits erwähnten Sesselreihe oder der Beleuchtung diese Details.

Dabei entsteht am Ende, und das ist die eigentliche Überraschung, eine Art Rüf'sches Konstruktions-Ornament. Die Verbindungen erfüllen also eine widersprüchlich erscheinende Doppelfunktion. Sie sind derart funktional und reduziert, dass sie der gängigen Definition des Ornaments widersprechen, bei näherem, auf jeden Fall empfohlenem zweiten Hinschauen aber eine konstruktive Schmuckfunktion erfüllen, die sogar einem Adolf Loos hätte gefallen können. Zumthor hat's auf jeden Fall erfasst, zwar nicht sofort, aber dann doch. (Michael Hausenblas/Der Standard/rondo/15/02/2008)