Interne Unterredung im Vertrauen: Simon (Mathieu Amalric, li.) erhält den Auftrag, seinen Vorgesetzten zu bespitzeln – die Masken über ihm sind ein schlechtes Omen. Ab 15.2. im Wiener Stadtkino.


Foto: Stadtkino

Elisabeth Perceval, Nicolas Klotz: "Die Idee war, die Effekte der Shoah in der heutigen Zeit zu zeigen."

Das französische Filmemacherpaar Nicolas Klotz (Regie) und Elisabeth Perceval (Drehbuch) realisierte mehrere Spiel- und Dokumentarfilme sowie Musikerporträts. Außerdem arbeiten sie am Theater und gründeten die Schaubühne "Asile".


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Dominik Kamalzadeh sprach mit Nicolas Klotz und Elisabeth Perceval über Unternehmertum und Nationalsozialismus.

Standard: "La question humaine" beginnt als eine Firmenintrige. Simon, die Hauptfigur, soll einen Vorgesetzten ausspionieren, der neuerdings zu seltsamen Aussetzern neigt. Was hat Sie an dieser Welt modernen Unternehmertums interessiert?

Klotz: Wir haben zwei Spielfilme davor gemacht, "Paria" und "La blessure", die sich mit der Seite der Armen, der Ausgebeuteten beschäftigt haben – einmal ging es um Menschen auf der Straße, einmal um Afrikaner, die versuchen nach Frankreich zu kommen. Wir wollten eine Trilogie über die Gegenwart machen und wechselten nun die Perspektive.

Standard: Hin zur Perspektive der Macht?

Klotz: Simon ist ein sehr guter Techniker, er ist neutral. Er hat kein Problem damit, die rationellste Lösung zu finden, und weiß, wie Macht funktioniert. Es gefällt ihm zu gehorchen – auch in diesem Fall. Aber als er eine mysteriöse Notiz aus dem Archiv bekommt, die eine Verbindung zur Vergangenheit offenlegt, schockiert ihn das. Es öffnet etwas in ihm, er entdeckt den Schmerz – und was es bedeutet, ein Mensch zu sein.

Standard: Die Notiz erstellt einen Zusammenhang zwischen modernem Unternehmertum und den Verbrechen des Nationalsozialismus. Wie funktioniert diese Analogie?

Klotz: Schon die Vorlage, François Emmanuels Roman, verweist auf ein Schreiben von 1942, in dem es um die Optimierung von Lkws geht, die bei der Ermordung von Juden zum Einsatz kamen. Fast zehn Jahre lang haben wir versucht, einen Film über diesen Themenkomplex zu machen. Es ist eigentlich kein Film über Unternehmertum, sondern über die heutige Zeit und darüber, wie die Vergangenheit darin weiterwirkt.

Standard: Können Sie das konkretisieren?

Klotz: Der Film geht davon aus, dass es so etwas wie einen Zeitblock gibt, der sich von den 30er-Jahren bis in die Gegenwart erstreckt. Ein Beispiel: Ist das, was in den 30er- und 40er-Jahren passiert ist, tatsächlich in den 50er- oder 60er-Jahren zu Ende gegangen? Natürlich ist die Welt nicht dieselbe geblieben, aber unser Eindruck ist, dass die Gegenwart von der Vergangenheit heimgesucht wird. Der Nationalsozialismus war sozusagen nur ein Schritt innerhalb der Geschichte der Industrialisierung, die seit 200 Jahren andauert.

Standard: Sie meinen ein Konzept von Modernität, das vom Nationalsozialismus kommt – und nun eine andere Gestalt angenommen hat.

Klotz: Die Idee war tatsächlich, die Effekte der Shoah in der heutigen Zeit zu zeigen. So wie das Geräusch des Urknallsummens bis heute vernehmbar ist – als eine Art Archiv. Natürlich ist ein Unternehmen kein Konzentrationslager, aber es gibt ein Denken, das damals erfunden wurde.

Perceval: Heute ist es möglich, bestimmte Probleme wie Armut wie ein Unternehmen zu lösen. Arme werden wegrationalisiert wie Angestellte. Die Menschen, die diese Pläne ausführen, kollaborieren mit einem komplexen System. Die Frage ist, ob sie fähig sind, zu erkennen, was sie tun. Das Kino erzählt immer davon, was passieren wird – wie beim Film noir.

Standard: Der Film funktioniert auch wie ein Thriller, aber er erweitert die Dimensionen ins Historische. Es gibt eine sublime Bedrohung.

Klotz: Zu Beginn zeigen wir etwa eine afrikanische Maske im Unternehmen, die als Idee von schwarzer Magie und Hexerei über allem schwebt. Er geht durch die Firma hindurch, dieser Bann der Geschichte, der auch auf die Kolonisierung verweist. Simon entdeckt keinen Mord, sondern einen Massenmord.

Standard: Simon durchlebt einen Bewusstwerdungsprozess. Wie verändert er sich? Es gibt dieses Gefälle zwischen Tag und Nacht.

Perceval: Der Fall ermöglicht es ihm, sozusagen eine neue Sprache zu verstehen. Simon beginnt zu begreifen, auf welche Weise Rationalisierung dehumanisiert, auch ihn selbst. Tag und Nacht funktionieren wie Schuss und Gegenschuss: Der Tag ist neutral, die Nacht ist Musik, Gesang, Fado oder Flamenco. Uns ging es darum, die Stimme anders zu benutzen als am Tag. In der Nacht ist sie kein Befehl mehr, sondern eröffnet ein anderes Spektrum. In der Nacht bricht das Leben aus Simon hervor.

Standard: Am Ende gibt es die zentrale Einstellung mit Lou Castel, der über die Verbrechen seines Vaters spricht.

Klotz: Die Figur Lou Castels spricht über sich als Kind, und Simon schaut auf ihn, als wäre er sein Vater. Es ist wie bei Pasolinis Frage: In der griechischen Tragödie müssen die Söhne immer die Fehler der Vater korrigieren – welche Verbrechen haben die Väter begangen? Es ist das Verbrechen, das Entstehen des Faschismus ermöglicht zu haben. Darum geht es: Wie lässt es sich in der Moderne leben, ohne dem Faschismus eine neue Form zu geben? Er ist die wahre Herausforderung. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15.2.2008)