Jeweils montags und donnerstags eine Stadtgeschichte Thomas Rottenberg

Es war vergangene Woche. In Osttirol und etwa 2700 Meter über dem Meer. Da wollte der Südtiroler, der vor mir nach oben stapfte, nett sein. Schließlich hatten er, sein Bruder und der Nordtiroler Bergführer uns Städter und Speckgürtler aus dem Osten schon den ganzen Aufstieg auf der Schaufel. Jedenfalls hatte das in den Passagen, die für uns verständlich gewesen waren, so geklungen.

Wien, meinte der Südtiroler Snowboardpro versöhnlich, sei eh nicht ganz so schrecklich, wie er das behauptet hatte. Denn auch als Mensch, der jahrelang ohne den U-Bahn und Shoppingmall überlebt hatte, habe er den Stadt-Schock dann – als er hier ein paar Semester inskribiert war – eigentlich gut verkraftet. Weil die Stadt zumindest versuche, die Bergwelt zu imitieren.

Wuchtelmunition

Ich war irritiert. Dass ein Tiroler die Hohe-Wand-Wiese für einen "Wintersportplatz" halten konnte, hatte ich für unmöglich gehalten: Vermutlich wollte der kernige Freerider vor mir nur seine nächste Städter-sind-arme-Würstchen-Wuchtel vorbereiten. Und weil der Mann darin ziemlich gut war, und es Spaß machte, ihm zuzuhören, wollte ich ihm ein bisserl extra Munition liefern.

Deshalb sang ich das Lied der wintersportlich-alpinen Segnungen der Bundeshauptstadt: Von Straßen, die sogar im innerstädtischen Bereich zu Rodelwegen umgewidmet würden. Wenn Schnee läge. Von der FIS-Zertifizierung der Hohe Wand Wiese. Von der zweiten Skistrecke der Stadt (deren Namen mir nie einfällt). Und – und das vor allem – von den Schneekanonen. Die gäbe es nämlich sogar im Prater. Gleich neben der Pistenwalze im Käfig.

Spurwechsel

Der Tiroler hörte interessiert zu. Jedenfalls interpretierte ich das in den Rucksack mit dem draufgeschnallten Snowboard vor mir. Als ich fertig war stieg er aus der Spur und stapfte neben mir. Er grinste von einem Ohr zum anderen – und war begeistert: Das mit den Skipisten, meinte er, habe er gewusst. Das richte sich eh von selbst – und er sage dazu nix. Schließlich gäbe es auch Tiroler, die Kitzbühel für eine echte Stadt hielten. Und wenn Ischgl sich selbst "Metropole" nenne, dürfe Wien auch FIS-Pistenstadt sein. Das wäre nur ausgleichend bizarr.

Aber das mit dem Prater, setzte er dann fort, sei ihm neu. Soweit er sich erinnere, sei der Prater ein Auwald. Jedenfalls bis vor drei Jahren, als er aus Wien weggezogen sei. Und Auwälder wären meist eher flach (an dieser Stelle zitierten wir beide "Asterix bei den Helvetiern", kamen aber rasch wieder zur Sache). Was – in Dreiteufelsnamen –, fragte der Snowboarder, würden wir dort mit einer Schneekanone anstellen? Und wozu eine Pistenwalze? Und das habe jetzt nichts damit zu tun, dass er eigentlich der Meinung sei, dass Kunstschnee und Ratrack ganz generell Irrtümer wären. Auch im echten Alpenraum.

Jesuitenhügel

Ich erzählte vom Kinderrodelhügel auf der Jesuitenwiese. Und weil Tiroler ein Herz für arme Stadtkinder haben, fand das Setting – inklusive Schneekanone – Gnade vor den Augen des Mannes aus den Bergen. Sogar die Pistenmaschine ließ er durchgehen. Schließlich, meinte er, müsse der Kunstschnee ja irgendwie auf dem Rodelhügel herumbugsiert werden. Faszinierend sei aber etwas anderes: Dass die Wiener Prater-Pistenwalze tatsächlich in einem Käfig stehe, fände er großartig. Und symptomatisch: "Ihr Städter fürchtet euch vor allem. Drum spielen Kinder in Käfigen Fußball – und sogar Pistenbullys kommen hinter Gitter."

Aber eigentlich, meinte er nachdem er zu Ende gelacht hatte, habe er sich vorher, mit seiner Berge-Simulations-Ansage, gar nicht lustig machen wollen: Klettern könne man in Wien mittlerweile ziemlich fein. Die Hallen und der Flakturm wären nicht so übel – und außerdem gäbe es in Wien noch einen der besten Funparks von überhaupt. Zwar nicht fürs Board, aber immerhin fürs Bike. Und zwar handgeschaufelt. Und mitten im Prater. Aber das wisse ich vermutlich ohnehin.

Ich wurde rot: Ich musste passen. Der Tiroler jubilierte: Wenn ich das nächste Mal im Prater sei, solle ich ihm ein Bild von der eingesperrten Pistenwalze aufs Handy schicken – zum Ausgleich würde er mich dann zum Bike-Platz lotsen. Schließlich müsse ein Wiener doch wissen, was seine Stadt alles könne. (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 18. Februar 2008)