Pianist Michel Camilo: rasante Reise durch Stilwelten.

Foto: Konzerthaus

Bei all den Dingen, die er erlebt hat - eine Erfahrung hat sich bei Michel Camilo eingeprägt: Da spielt der Pianist aus Santo Domingo also mit seiner Band in Spanien, im Theater von Málaga, mitten in der Show ging allerdings der Strom aus. Kein Licht, kein Saft mehr für die Verstärker. Alles dunkel und unfreiwillig unplugged. "Wir konnten einander nicht sehen - auch nicht unsere Instrumente, und auch das Publikum wurde unsichtbar. Aber wir konnten andere Dinge sehen mit unseren Herzen. Also, was taten wir? Wir spielten und spielten, sandten Noten in die milde spanische Nacht." Und erlebten ein seltsames Gefühl von Einheit.

Seit 30 Jahren ist der Pianist, geboren 1954, unterwegs, und hier hat er unerwartet das gefunden, was er immer sucht - eine echte Beziehung zu den Musikdingen. Zu Noten, zu Kollegen, zum Publikum. Jazz sei das geeignete Genre dafür, meint Camilo. Allerdings ist der Mann extrem vielseitig. Als klassischer Dirigent hat er auch das Sinfonieorchester der Dominikanischen Republik geleitet; er komponierte eine ganze Menge für Dizzy Gillespie und Manhattan Transfer (zudem auch ein Klavierkonzert), und er hat schon zahlreiche Grammys abgeholt.

In Wien sucht Camilo die Einsamkeit. Das heißt, er wird in einem Solokonzert die absolute musikalische Freiheit nutzen. Substanz ist ausreichend vorhanden. Als Vertreter des Klavier-Mainstreams versteht er es, seine fulminanten Technik in den Dienst einer Erzählkunst zu stellen, die gerne aus den Bereichen des Melodiösen in harmonisch anspruchsvolle Regionen von Hardbop und der Polytonalität aufbricht. Ein Mann der intelligent eingesetzten Virtuosität zwischen brasilianischem Flair, Standards und eigenen, karibisch gefärbten Stücken. (Ljubisa Tosic / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21.2.2008)