"Die Wohlgesinnten" erscheint am 23. Februar, Berlin Verlag. Die Folie für Jonathan Littells Roman um einen Muttermörder und Nationalsozialisten liefert die "Orestie" des Aischylos, hier gemalt von William-Adolphe Bouguereau (1862).

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Wien - "Liebe Freunde, ich möchte Sie alle bitten, eine kleine, aber wichtige Änderung im Text der Wohlgesinnten, an dessen Übersetzung Sie gerade arbeiten, durchzuführen. Dabei handelt es sich nicht um eine nachträgliche Änderung, sondern vielmehr um die Wiederherstellung der ursprünglichen Form des Textes. Es handelt sich um die Schlussszene, in der Max Hitler in die Nase kneift:

In der Szene, die ich geschrieben hatte und die auch so in dem Manuskript stand, das an meinen französischen Verleger ging, biss Max nämlich den Führer in die Nase - eine Geste, wie Sie sehen, von einer ganz anderen Tragweite und entschieden anderen Bedeutung. Auf die Bitte meines französischen Lektors hin habe ich diese Szene geändert [...]. Ich bedaure das jetzt und wünsche mir daher [...], dass die Szene, die ich als die ursprüngliche ansehe, wieder eingesetzt wird."

Jonathan Littell in einem öffentlich gemachten Brief an seine Übersetzer. Der 40-jährige US-Autor, der den Großteil seines Lebens in Frankreich verbracht hat und auch auf Französisch schreibt, hat bislang erst zwei Bücher publiziert und gilt doch schon als einer der einflussreichsten Autoren unserer Tage. Zurzeit sind Übersetzungen von Die Wohlgesinnten in nicht weniger als 26 Sprachen in Arbeit.

Kein Geringerer als Jorge Semprún, eine der gewichtigsten Stimmen in der literarischen Auseinandersetzung mit dem Holocaust, jubelt über Littells Roman: "Ich war wie erschlagen von diesem unglaublichen Buch. Es ist das Ereignis unserer Jahrhunderthälfte. Ich sehe nicht, welches Buch in den nächsten Jahrzehnten an seine Wirkung heranreichen könnte."

Große Lorbeeren für einen angeblichen Debütroman (tatsächlich hat Littell in den späten 1980ern schon einen Sciencefiction-Roman veröffentlicht, den sein Verlag nun als Jugendsünde zu vertuschen versucht). 2006 bei Gallimard erschienen, geriet Die Wohlgesinnten zum Überraschungsbestseller.

Ein unbekannter Autor, ein literarisch hochambitionierter 900-Seiten-Wälzer (in der deutschen Fassung voraussichtlich 1400 Seiten) - damit lässt sich normalerweise günstigstenfalls ein Ruf begründen. Die Startauflage von Les Bienveillantes betrug denn auch "nur" 12.000 Exemplare.

Mittlerweile wurden allein im Hardcover 800.000 verkauft, eine preisgünstige französische Taschenbuchausgabe erscheint in diesen Tagen. Der Roman erhielt sowohl den Romanpreis der Academie Française als auch den Prix Goncourt und wurde gleichzeitig zu einem massenmedialen Ereignis.

Wettbieten um Rechte

Ein hektisches Wettbieten um die Rechte auf ausländischen Märkten setzte ein, wo man sich nun ähnliche Verkaufszahlen wie in Frankreich erhofft. Verleger blätterten ungewöhnlich hohe Summen hin. Der Berlin Verlag etwa, wo die deutschsprachige Ausgabe erscheint, zahlte 400.000 Euro, HarperCollins in den USA gar eine Million Dollar. Auch in Israel wird das Buch erscheinen.

Solche Zahlen und derart hektische Betriebsamkeit lassen sich nicht allein mit der literarischen Qualität eines Werks erklären. Die Aufregung um Die Wohlgesinnten entstand denn auch vor allem aufgrund der heiklen Thematik und gewagten Perspektive des in der Nazizeit angesiedelten Buchs, das einen - erfundenen - Täter zu Wort kommen lässt: "Ihr Menschenbrüder, lasst mich euch erzählen, wie es gewesen ist ..."

Der Hitler in die Nase beißt, heißt Max Aue und ist keineswegs ein Widerstandskämpfer, sondern ein ranghoher, homosexueller SS-Offizier. Aue lässt sich als eine moderner Orest begreifen, der - auch wenn er es nicht explizit ausspricht - seine Mutter ermordet hat und nun im NS-Regime sein Unwesen treibt. In dessen Apparat hofft er den Rachefurien zu entkommen.

Der Skandal, der sich um Die Wohlgesinnten entwickelt hat, besteht darin, dass der Nazi hier nicht als Monster geschildert wird. Littell will den Massenmörder verstehen und versucht Max daher als Menschen zu begreifen. Daraus leitet sich jedoch noch keine Begründung oder gar Entschuldigung für die Verbrechen der Figur durch ihren Autor ab. Nazi-Kitsch?

Einige Kritiker bemäkelten dennoch, Max sei zu sympathisch geraten und sein Erzählton stimme nicht. "So" habe kein Nazi gesprochen. Genau aus dieser Ambivalenz heraus aber bezieht Littells Held seine Spannung. Der Leser bleibt nicht unbewegt. Das schlägt sich auch in der Heftigkeit nieder, in der die Debatte um den Roman geführt wird.

Der Filmemacher und Holocaust-Überlebende Claude Lanzmann (Shoah) etwa hat Littell zunächst angegriffen und ihm vorgeworfen, sich am Grauen zu ergötzen. Nazi-Kitsch? Nach einem Treffen revidierte er seine Meinung und bescheinigt Littell nun, dieser habe "die Sprache der Henker erfunden". Eine ähnliche Schwankungsbreite an Meinungen ist wohl auch von der Rezeption im deutschsprachigen Raum zu erwarten.

Das für manche Unerhörte: Mit Jonathan Littell schreibt ein von russischen Juden abstammender junger Autor ausgerechnet aus der Täterperspektive ein Buch über den Holocaust. Während nur noch wenige Zeitzeugen am Leben sind, muss Littell sich als Autor in eine ihm lediglich aus Erzählungen und historischen Berichten bekannte Zeit hineinversetzen. Dabei verlässt er sich nicht allein auf Dokumente, sondern auch stark auf - die schlecht messbare - Kunst der Einfühlung in seine Hauptfigur und auf literarische Vorbilder.

Die Literaturwissenschafterin Florence Mercier-Leca hat darauf hingewiesen, Die Wohlgesinnten sei im Grunde "eine makabre Wiederaufnahme der Orestie des Aischylos". Diese liefert die Folie für den Roman. Littell hat denn auch darauf bestanden, dass der Titel des dritten Teils der Orestie - Die Eumeniden - in der jeweiligen Zielsprache seinem Buch den Namen geben soll. Ergo Die Wohlgesinnten, wie die Erinnyen vulgo Eumeniden euphemistisch genannt werden, um ihren Zorn zu beschwichtigen.

Übersetzerwechsel

Überhaupt verfügt der Autor über detaillierte Vorstellungen davon, was mit seinem Buch geschehen soll. Er hat nicht nur den Nasenbiss im Führerbunker wieder in den Text aufgenommen und für die französische Taschenbuchausgabe auch einige andere Stellen etwas überarbeitet. Mit der Übertragung ins Englische war der US-französische Autor derart unzufrieden, dass er gleich einen neuen Übersetzer forderte. Weshalb sich die englischsprachige Fassung voraussichtlich um ein Jahr verzögern wird.

Ein Glück, dass Jonathan Littell die deutsche Sprache fremd ist? Die deutsche Ausgabe kann jedenfalls pünktlich erscheinen. Delf Schmidt, der Lektor beim Berlin Verlag, ließ zunächst mehrere Übersetzer dasselbe Probekapitel übertragen, ehe er sich für Hainer Kober entschied.

Der Leser kann die Qualitäten von dessen Arbeit und der Wohlgesinnten bald überprüfen. Es wird einem nichts Anderes übrig bleiben, als sich auf diesen nichts bereuenden Max einzulassen und Littells Roman - zumindest von seinem Umfang her ja doch ein Monster! - zu lesen, anstatt das Feld ganz den Polemikern zu überlassen. (Sebastian Fasthuber, DER STANDARD/Printausgabe, 04.01.2008)